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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1894

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Heft 5
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Glücksmann, Heinrich: Des Handwerks gute alte Zeit, [1]: ein Bild aus der Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.6754#0054

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Der Geist der Reformation regte sich aber nicht zuerst
in der Zelle des Augustinermönchs von Wittenberg, er
wurde als Kampf gegen den Sitten* und Kulturverfall
lebendig im Bürgerthum, das sich gemach zur Hochburg
deutschen Geistes, deutscher Kunst und deutschen Gewerbes,
zur treuen Wacht an den bestürmten Thoren der Tivilisation
aufgeschwungen hatte, im Bürgerthum, das die Städte zu
noch nie dagewesener Blüthe und Nachtfülle, zu größter
innerer und äußerer Bedeutung brachte.

Die Zeichnung in reinem Glanze wäre wohl auch hier
Geschichtsfälschung, denn Rohheit und Unsittlichkeit waren

7. Persische Blnmenvase.

25 cm. tjocb.

aus den Städten nicht verbannt. Aber die energische Ver-
dammung und Bekämpfung der kirchlichen und sozialen Miß-
stände, die stete Vertheidigung der Freiheit, das Wirken für
Verallgemeinerung der Bildung ging doch vom Bürgerthum
aus, ein Beweis, daß in diesen Kreisen ehrlichere und gesündere
Anschauungen herrschten. Und dieses Bürgerthum, welches
das geistige Erbe des Nittelalters übernahm, pflegte und
in die Neuzeit hinüberrettete, es rekrutirte sich zu seinem
größten Theile aus dem Handwerkerstände, aus dem hervor
sich damals der Bürgeradel — wenn das Wort erlaubt ist —,
das Patrizierthum der deutschen Städte entwickelte und mit

dessen vortretender Wirksamkeit ein Zeitalter von so farben-
prächtiger Nannigfaltigkeit, so sprudelndem Leben, so reichen
schöpferischen Ansätzen, so interessanten Tontrasten, so kräftigen,
humanistischen und reformatorischen Bestrebungen und einem
so heftigen Kreuzfeuer der Geister, daß die ganze Geschichte
des deutschen Volkes und der Länder, die einst zum großen
römisch-deutschen Reiche vereinigt waren, nicht seinesgleichen
aufweist. Dieser Epoche, gepriesen als „des Handwerks gute
alte Zeit", wollen wir heute näher rücken.

Der von den Sozialisten rückersehnte Gleichwerth der
Arbeit, die Unbewußtheit des Unterschiedes in der inneren
Bedeutung der Gewerbe- und Kunstübungen bildete das
charakteristische Merkmal jener Zeit. Jedes Werk der Hand
hieß Uandwerk, mochte es ein Altargemälde, einen himmel-
ragenden Dom, einen herrlich ornamentirten Kelch, einen
reich gezierten Harnisch oder ein Paar fester Reiterstiefel
Hervorbringen. Das Klostergesetz der Gleichheit hatte auch
für die Beschäftigung der Brüder gegolten und war in die
Verbände bürgerlicher Handwerker übergegangen, die aus
der klösterlichen Genossenschaft von der Nitte des {5. bis
zum Beginn des Jahrhunderts entstanden und das Ge-
werbe bald aus der Nönchswerkstatt ganz in Laienhände
brachten. Dieses Gleichheitsgesetz erklärt das anonyme Schaffen,
die den Forscher zur Verzweiflung bringende Bescheidenheit
der Meister dieser Zeit, denen die selbstvergötternden Posaunen-
klänge, die Anpreisungen des individuellen Verdienstes fremd
waren; hätte man nicht in Urkunden, Ehroniken und Dicht-
ungen, die ein Zufall bewahrte, kümmerliche Auszeichnungen
gesunden, wir wüßten selbst das Wenige nicht, was wir
wissen von den ersten Erbauern und Schmückern des Straß-
burger und Ulmer Münsters, des Kölner Doms, der Wiener
Stephanskirche, der Münchener Frauenkirche und anderer
Denkmäler aus der Zeit des kunstgeadelten deutschen bjand-
werks. Damals fühlte sich der Einzelne nur als Theil eines
Ganzen, als Glied eines groß angelegten Organismus, als
Rädchen einer Maschine, und gab sein bestes Können hin,
um den Glanz des Standes zu heben, nicht um sich selbst
über 'die Werkgenossen zu stellen. Jenes Ganze, jener fest-
gefügte Organismus war die „Zunft" oder „Innung",
eine natürliche Frucht des dem mittelalterlichen Bürgerthum
eigenthümlichen Strebens nach Vereinigung.

Den klösterlichen Genossenschaften entsprossen und nach-
gebildet, legten diese Verbände von Gewerbsleuten auch zuerst
das Schwergewicht auf religiöse Zwecke: gewisse gottes-
dienstliche Feste und Handlungen wurden gemeinsam begangen,
an Prozessionen mußten die Innungen in corpore erscheinen
und der Geistlichkeit entweder assistiren oder unter der Zunft-
fahne vereint, das Geleite geben. Diese oft prachtvolle Fahne
schmückte das Bild des Schutzheiligen. Jede Zunft hatte
einen andern Patron am Throne Gottes. Mit Vorliebe
wählten sie heilige, die einst ihr Gewerbe betrieben hatten,
so Tischler und Zimmerleute den hl. Joseph, Schuster den
Trispinus, Goldschmiede und Schlosser den Eligius. Andere,
die nicht so glücklich waren, einen Heiligen zum Handwerks-
bruder zu haben, mußten sich anderwärts umsehen und gingen
da mit verblüffender Logik vor. Besonders beliebt als Patrone
waren die hl. Märtyrer. Die Gewerbe des Feuers, wie
Waffenschmiede, Glockengießer, Feuerwerkerzeuger u. a.
wählten die hl. Barbara, weil ihren heidnischen Vater, der
sie wegen ihres Nebertritts zum Lhristenthum getödtet hatte,
 
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