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Boeck, Kurt
Indische Gletscherfahrten: Reisen und Erlebnisse im Himalaja — Stuttgart [u.a.], 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.16241#0089
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dem Bazar ansichtig wurde, mit den Augen, denn er hatte flink
erfaßt, woranf es mir ankam, und ich konnte gewiß fein, jedesmal in
irgend einem entlegnen Marktwinkel eine feltfame Figur anzutreffen,
wenn ich feinein Augenzwinkern folgte. Nickte ich ihm dann zu-
stimmend mit dem Kopf, fo war darauf zu rechnen, daß der kleine
Teufelskerl durch Schmeichelei oder Bakfchifch diese Person in mein
Glashaus lockte, desfen zahllofe Fenfterscheiben ich mit geöltem Seiden-
papier belegt hatte, so daß ich zwar Licht in Hülle und Fülle behielt,
die Neugierigen aber mit langen Gesichtern abziehen mußten. Diefen
drolligen Gehilfen ftellte ich nun fest als Diener, als „boz?" an, und follte
bald merken, daß er, fo klein er war, bedeutende Anlagen zum Gedanken-
lefen hatte. Jch bin überzeugt, daß ich ohne feine Hilfe unter den ob-
waltendenUmständenniemals in dieLage gekommen wäre, nachzuweisen,
wieübertrieben die ungalante Mär ist, die oberflächliche Reisende über die
durchgängige Häßlichkeit der Bhotijafrauen zu verkünden beliebt haben.

Wie bei allen Völkern befinden fich natürlich auch unter den
Bhotijafrauen und Mädchen der niedren, fchwer arbeitenden Klafsen
unschöne Erscheinungen, von denen man einzelne ganz gut, ohne
ihnen zu fchmeicheln, Drachen und Hexen nennen könnte; fchon die
mongolifche Gesichtsbildung macht eine unsaubre Bhotijafrau mit
gemeinem Gedankenkreis zu einem Scheusal.

Aber in den wohlhabenderen Bhotijafamilien, die fich freilich
nicht von dem erften besten europäifchen Vergnügungsreifenden hinter
die Gardinen gucken laffen, giebt es ganz allerliebste, fchelmische
Frauenzimmerchen voll gesunder Kraft und Grazie, mit prächtig
offnen, ehrlichen Gesichtern, einzelne fogar von hervorragender Schön-
heit und hoheitsvollem Benehmen.

Mein kleiner bo;^ hatte mir wohl an der Nasenfpitze angesehn,
wie gern ich einige diefer zurückgezogen lebenden Schönheiten abgebildet
hätte und führte wirklich eines Tages eine junge nepalische Frau der
befferen Klaffe in mein Studio. Sie hatte zur Feier des Tages ihr
Baby mitgebracht und wollte nur dieses „fitzen" laffen, woran mir
 
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