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SW MÜNCHENER JAHRESAUSSTELLUNG 1906 ^3
M. Dasio.— In der größeren Aquarellabtei-
lung der Genossenschaft, desgleichen im Ra-
dier-Verein überrascht den Beschauer ebenfalls
manch treffliches Werk, das einer eingehen-
den Betrachtung würdig ist. Mit gespannten
Erwartungen betritt wohl jeder Kunstfreund
den großen Saal der »Scholle«, da hier all-
jährlich Sensationen auf ihn warten. Diesmal
wird wohl mancher enttäuscht sein, da man
einerseits eigentlich dem altgewohnten Bilde
gegenübersteht und die jungen Maler sich nicht
mehr überbieten können, und man anderseits
schließlich mehr von der Kunst verlangt als
Plakate im größeren Maßstab. Trotzdem ist
diesem kreißenden Chaos der Kräfte eine
größere Beachtung zu schenken, da die künst-
lerischen Absichten all jener jungen Leute die
ernstesten sind. — Mögen starke Entgleisungen
und Übertreibungen vorkommen, mag man
auch an dem allzuvielen derben Weiberfleisch
wenig Gefallen finden, die Probleme, welche
sich Fritz Erler, W. Püttner, Ad. Mün-
zer, R. Max Eichler, M ax J. Fe 1 dbauer
stellen, haben große Ziele zum Hintergrund.
Vor allem sucht Fritz Erler nicht das Höchste
darin, das Leben, wie es sich in schranken-
loser Freiheit abspielt, vorzuführen. In ihm
lebt ein Geist, der sich nach Formen und
Farben sehnt, die über die Natur hinausgehen.
Und in der Tat gibt es auch Formen und
Farben, Linien, die edler, reiner und köst-
licher sind als sie der nüch-
terne Alltag zeigt oder die
Momentaufnahmen in der
»Woche«. Daß dieser Kün-
stler in seinen Bildnissen, na-
mentlich in dem dekorativen
Gemälde »Noah«, das im
Grunde ja sehr verfehlt ist,
solches mit eifrigem Be-
mühen sucht, ist zweifellos.
Auch Ad. Münzer strebt
einem, wenn auch anderen
hohen Ziele zu, in seinem
Frauenbilde im Birkenwalde,
dann in der nackten Schönen
am Bachesrand, hat er gar
seltsame Farbenakkorde an-
geschlagen. Bedeutende
Fortschritte hat vor allem
Walter Püttner in dem gros-
sen Bilde zweier Soldaten
gemacht, er hat an Breite
des Vortrages gewonnen und
den Schmelz der Farbe ge-
steigert, aber die Art des
Malens steht in Abhängig-
keit von Ad. Münzer. Leo
Putz’ Frauenakte sagen nicht mehr als sonst,
während Er 1 e r-S am ad e n in den lebens-
großen Hochlandsjägern zu größerer Freiheit
in der Behandlung des Stoffes sich empor-
geschwungen hat. Immerhin bleibt hier den
Jüngern der Scholle noch recht viel zu tun
übrig, wenn sie nicht auf angefangenem
Wege stehen bleiben wollen. Zwar ist die
Kunst gesteigerte und umgewandelte Natur,
der feinste Künstler jedoch, der am unauf-
fälligsten übertreibt.
Die hohe Kunst der Plastik, für die eigent-
lich in unserer beweglichen, nervösen Zeit
weniger Interesse als für die Malerei vorhan-
den, kommt heuer, wie stets auf Ausstellungen,
zu kurz. Und doch wäre es mitunter erfreu-
licher, daß das, was die Plastik an Ideen und
Seele geboren, den weiteren Kreisen der Kunst-
freunde zugänglich gemacht würde, um die
ernsten Bestrebungen der Bildhauer, deren
Tätigkeit alle Mätzchen und jedes Verschleiern
ausschließt, besser würdigen zu können. Aus
den Fortschritten, welche die Malerei in ihrer
leicht beweglichen Art errungen, hat auch
die Bildhauerei Vorteile gezogen, und gerade
in diesem Jahre, wo die retrospektive Plastik
in umfassender Weise zum Vergleiche her-
ausfordert, lassen sich die Resultate deutlicher
erkennen. Leider sind erstklassige Leistungen
kaum vorhanden, immerhin ist manche vor-
treffliche Arbeit aufgestellt, die neues Leben
verkündet. Eigenartig in der
Auffassung und zart model-
liert ist C. G. Barths »Il-
lusion«. Rassig behandelt
eine Salome von Ed. Bey-
rer, der ebenfalls mit einem
Autler und noch einer Bild-
nisbüste vertreten ist. Von
einfachen, schlichten For-
men, dabei seelisch im Aus-
druck ist der lehrende Chri-
stus von G g. S c h r e y ö g g.
An die Pieta Michelangelos
erinnert etwas die fleißig
durchgeführte Pieta von E d.
Fischer,1) wie denn über-
haupt gewisse Renaissance-
Anklänge und Schultra-
ditionen, unbeschadet des
Wertes der Werke öfters
zum Durchbruch kommen,
so bei dem Brunnen von
Pause nberger und dem
*) Abbildung in der Jahres-
mappe 1906 der Deutschen Ge-
sellschaft f. christl. Kunst. D. Red.
EPITAPH DES JOHANNES VON GILTINGEN
Im kgl. Nationalmuseum zu München. Text S. 43
SW MÜNCHENER JAHRESAUSSTELLUNG 1906 ^3
M. Dasio.— In der größeren Aquarellabtei-
lung der Genossenschaft, desgleichen im Ra-
dier-Verein überrascht den Beschauer ebenfalls
manch treffliches Werk, das einer eingehen-
den Betrachtung würdig ist. Mit gespannten
Erwartungen betritt wohl jeder Kunstfreund
den großen Saal der »Scholle«, da hier all-
jährlich Sensationen auf ihn warten. Diesmal
wird wohl mancher enttäuscht sein, da man
einerseits eigentlich dem altgewohnten Bilde
gegenübersteht und die jungen Maler sich nicht
mehr überbieten können, und man anderseits
schließlich mehr von der Kunst verlangt als
Plakate im größeren Maßstab. Trotzdem ist
diesem kreißenden Chaos der Kräfte eine
größere Beachtung zu schenken, da die künst-
lerischen Absichten all jener jungen Leute die
ernstesten sind. — Mögen starke Entgleisungen
und Übertreibungen vorkommen, mag man
auch an dem allzuvielen derben Weiberfleisch
wenig Gefallen finden, die Probleme, welche
sich Fritz Erler, W. Püttner, Ad. Mün-
zer, R. Max Eichler, M ax J. Fe 1 dbauer
stellen, haben große Ziele zum Hintergrund.
Vor allem sucht Fritz Erler nicht das Höchste
darin, das Leben, wie es sich in schranken-
loser Freiheit abspielt, vorzuführen. In ihm
lebt ein Geist, der sich nach Formen und
Farben sehnt, die über die Natur hinausgehen.
Und in der Tat gibt es auch Formen und
Farben, Linien, die edler, reiner und köst-
licher sind als sie der nüch-
terne Alltag zeigt oder die
Momentaufnahmen in der
»Woche«. Daß dieser Kün-
stler in seinen Bildnissen, na-
mentlich in dem dekorativen
Gemälde »Noah«, das im
Grunde ja sehr verfehlt ist,
solches mit eifrigem Be-
mühen sucht, ist zweifellos.
Auch Ad. Münzer strebt
einem, wenn auch anderen
hohen Ziele zu, in seinem
Frauenbilde im Birkenwalde,
dann in der nackten Schönen
am Bachesrand, hat er gar
seltsame Farbenakkorde an-
geschlagen. Bedeutende
Fortschritte hat vor allem
Walter Püttner in dem gros-
sen Bilde zweier Soldaten
gemacht, er hat an Breite
des Vortrages gewonnen und
den Schmelz der Farbe ge-
steigert, aber die Art des
Malens steht in Abhängig-
keit von Ad. Münzer. Leo
Putz’ Frauenakte sagen nicht mehr als sonst,
während Er 1 e r-S am ad e n in den lebens-
großen Hochlandsjägern zu größerer Freiheit
in der Behandlung des Stoffes sich empor-
geschwungen hat. Immerhin bleibt hier den
Jüngern der Scholle noch recht viel zu tun
übrig, wenn sie nicht auf angefangenem
Wege stehen bleiben wollen. Zwar ist die
Kunst gesteigerte und umgewandelte Natur,
der feinste Künstler jedoch, der am unauf-
fälligsten übertreibt.
Die hohe Kunst der Plastik, für die eigent-
lich in unserer beweglichen, nervösen Zeit
weniger Interesse als für die Malerei vorhan-
den, kommt heuer, wie stets auf Ausstellungen,
zu kurz. Und doch wäre es mitunter erfreu-
licher, daß das, was die Plastik an Ideen und
Seele geboren, den weiteren Kreisen der Kunst-
freunde zugänglich gemacht würde, um die
ernsten Bestrebungen der Bildhauer, deren
Tätigkeit alle Mätzchen und jedes Verschleiern
ausschließt, besser würdigen zu können. Aus
den Fortschritten, welche die Malerei in ihrer
leicht beweglichen Art errungen, hat auch
die Bildhauerei Vorteile gezogen, und gerade
in diesem Jahre, wo die retrospektive Plastik
in umfassender Weise zum Vergleiche her-
ausfordert, lassen sich die Resultate deutlicher
erkennen. Leider sind erstklassige Leistungen
kaum vorhanden, immerhin ist manche vor-
treffliche Arbeit aufgestellt, die neues Leben
verkündet. Eigenartig in der
Auffassung und zart model-
liert ist C. G. Barths »Il-
lusion«. Rassig behandelt
eine Salome von Ed. Bey-
rer, der ebenfalls mit einem
Autler und noch einer Bild-
nisbüste vertreten ist. Von
einfachen, schlichten For-
men, dabei seelisch im Aus-
druck ist der lehrende Chri-
stus von G g. S c h r e y ö g g.
An die Pieta Michelangelos
erinnert etwas die fleißig
durchgeführte Pieta von E d.
Fischer,1) wie denn über-
haupt gewisse Renaissance-
Anklänge und Schultra-
ditionen, unbeschadet des
Wertes der Werke öfters
zum Durchbruch kommen,
so bei dem Brunnen von
Pause nberger und dem
*) Abbildung in der Jahres-
mappe 1906 der Deutschen Ge-
sellschaft f. christl. Kunst. D. Red.
EPITAPH DES JOHANNES VON GILTINGEN
Im kgl. Nationalmuseum zu München. Text S. 43