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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 3.1906/​1907

DOI Artikel:
Kemmerich, Max: Wie sah Kaiser Otto III. aus?
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https://doi.org/10.11588/diglit.53750#0234

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200

ew WIE SAH KAISER OTTO III. AUS ? ^3


MAX HEILMAIER

DETAIL VOM BISCHOFSTUHL
Vgl. S. 20r

WIE SAH KAISER OTTO III. AUS?

Von Dr. MAX KEMMERICH, München
A A erkwürdigerweise ist bisher weder der kör-
IVk perlichen Erscheinung der alten deutschen
Kaiser, noch überhaupt der Frage nach der
Porträtfähigkeit des frühen deutschen Mittel-
alters das Interesse entgegengebracht worden,
das man aus historischen und kunsthistorischen
Gründen vermuten sollte. Entweder, man
leugnete überhaupt, daß das frühe Mittelalter
Absicht und Können besessen habe, eine Per-
sönlichkeit einigermaßen der Wirklichkeit ent-
sprechend wiederzugeben, oder aber man nahm
jedes Bild, das durch Inschrift oder andere
Merkmale für einen Herrscher beglaubigt war,
stillschweigend als dessen Porträt hin. Beides
ist gleich irrig. Denn Porträt ist ein relativer
Begriff, abhängig von Zahl und Wichtigkeit

der zwischen Abbild und Original über-
einstimmenden Merkmale, so daß man
nicht sagen kann: bis zu diesem Termin
gibt es kein Porträt, von da an existiert
ein solches, sondern aus seinem Wesen
folgt, daß man in den ersten Anfängen
diejenigen Züge aufdecken muß, die der
Wirklichkeit entsprechen, anderseits im
scheinbar vollendeten Porträt der Gegen-
wart solche Merkmale hervorheben muß,
die nicht individuell beobachtet sind,
sondern nach einem zumeist unbewuß-
ten Schönheitsideal korrigiert sind, oder
von der Manier des Künstlers abhängen.
Ebenso irrig ist es aber, aus einer
Namensbezeichnung und dadurch schein-
bar gegebenen Beglaubigung eines Bildes
zu folgern, daß es deshalb den Genann-
ten auch wirklich porträtmäßig darstellen
sollte. Denn das Mittelalter hat in vielen
Fällen, in denen wir Ähnlichkeit erwar-
ten, sie so wenig erstrebt, wie wir etwa
in illustrierten Bibeln die wirkliche Er-
scheinung eines Königs David oder eines
Noah festhalten wollen. Klarheit kann
uns daher über Porträtabsicht und Grad
der Ähnlichkeit ganz ausschließlich ein
Vergleich des ganzen für ein und die-
selbe Person erhaltenen gleichzeitigen
Porträtmaterials bieten.
Zu einem solchen Verfahren sind u. a.
die Porträts Kaiser Ottos III. durch Zahl
und relative Güte besonders geeignet.
Wir gewinnen hier ein Urteil über den
Wirklichkeitssinn und die Darstellungs-
fähigkeit um das Jahr iooo, ferner er-
halten wir so ein ungefähres Bild vom
Äußeren eines der interessantesten Herr-
scher unseres frühen Mittelalters, und endlich
wird uns erst dadurch die Möglichkeit gewährt,
eine Anzahl von Handschriften, die für einen
Otto beglaubigt sind, oder anderer, die aus
stilistischen Gründen mit diesen verwandt sind,
zeitlich richtig anzusetzen. Gerade die Ratlosig-
keit selbst der gewiegtesten Kunstkenner sol-
chen Handschriften gegenüber erhellt daraus,
daß Stephan Beißel den Otto des Aachener
Evangeliars für den I. erklärt, andere ihn für den
II. oder III. halten, daß man lange schwankte,
ob das Porträt Ottos III. im Münchener Cod.
lat. 4453 diesen oder Heinrich II. darstelle
u. a. m. Da nun Otto I. 936 den Thron be-
stieg, Heinrich II. aber 1024 starb, so würden
die für die verschiedenen Werke angesetzten
Entstehungsdaten um nahezu ein Jahrhundert
schwanken, wenn wir nicht paläographische
und stilistische, also doch immerhin ziemlich
trügerische Kriterien zur näheren Zeitbestim-
 
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