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Becksmann, Rüdiger
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Freiburg im Breisgau: Münster Unserer Lieben Frau — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 2,2, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.52840#0093

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MÜNSTER • SPÄTROMANISCHE OSTTEILE

angebrachten monumentalen Silberkreuzes schmückten28. Die nahezu intakt erhaltene, um 1220/30 entstandene Chorver-
glasung von St. Kunibert vermag außerdem zur Erschließung der Bildthemen der bis auf einige Ornamentreste gänzlich
verlorenen Flankenfenster des Freiburger Chores beizutragen: In den entsprechenden Kölner Fenstern sind jeweils fünf
Szenen aus dem Leben der Hll. Clemens und Kunibert, der beiden Kirchenpatrone, dargestellt, wobei der Hl. Clemens
als erster Patron den ranghöheren Platz auf der Nordseite beansprucht. Auf Freiburg bezogen bedeutet dies, daß der
Hl. Nikolaus nicht der erste Patron des Münsters gewesen sein kann, da der ihm geweihte Altar im Erdgeschoß des süd-
lichen und nicht des nördlichen Hahnenturmes stand, wo Maria Magdalena verehrt wurde. Während die nur etwa 1,25 m
hohen und 0,50 m breiten rundbogigen Fensteröffnungen dieser Kapellen kaum etwas anderes als ein Standbild ihres
Patrons gezeigt haben können, dürften die ungleich größeren Flankenfenster im Chor in Kreismedaillons Szenen aus der
Vita der Hl. Maria Magdalena im Norden und solche aus dem Leben des Hl. Nikolaus im Süden enthalten haben. Für
die Kapellenfenster mangelt es trotz unermeßlicher Verluste nicht an vergleichbaren Werken, die uns eine ungefähre Vor-
stellung von deren Erscheinungsbild vermitteln können29. Schwieriger ist dies im Falle der Magdalenen- und Nikolaus-
zyklen, da diese in der deutschen Kunst des frühen 13. Jahrhunderts bisher fehlen oder noch selten sind30.
Obwohl Verglasung und Ausmalung der Querhausarme erst um 1260 erfolgt sind, weisen Beobachtungen an den Fen-
steröffnungen darauf hin, daß es spätestens um 1230 ein Konzept für ein raum- und gattungsübergreifendes Bild-
programm gegeben haben muß, an dem man um 1260 wohl schon aus technischen Gründen mehr oder weniger festhielt.
Im Nordquerhaus waren die Werke der Barmherzigkeit in der Rose und die Standfiguren der Hll. Afra, Josaphat und
Maria Magdalena in der Fenstergruppe darunter offenkundig Bestandteile einer Weltgerichtsdarstellung gewesen, die zu-
mindest die ganze Nordwand, vielleicht sogar die seitlichen Wände umfaßte und somit ein bislang nicht erwogenes Vor-
bild für Martin Schongauers monumentale Ausmalung des Westbaues des Breisacher Münsters geliefert haben dürfte31.
Bis auf eine Teufelsdarstellung am nördlichen Gewölbeanfänger (Fig. 26) hat sich wegen der gründlichen Entfernung
aller Mal- und Putzschichten kein Beleg hierfür mehr finden lassen. Das Gerichtsthema lag hier jedoch in doppelter
Hinsicht nahe: In der Rose fehlt die Darstellung der Bestattung der Toten, das siebte Werk der Barmherzigkeit. Es wurde
an diesem Ort immer dann aktiv vollzogen, wenn die Gläubigen, das Jüngste Gericht vor Augen, einem Toten auf dem
Weg durch das Nordportal zum Friedhof das letzte Geleit gaben. Auch wenn die Bürger uf dem kor, d. h. in der Vierung
zu Gericht saßen, fiel ihr Blick auf das Jüngste Gericht und die besonders herausgehobenen Werke der Barmherzigkeit
in der Rose, während die mit dem Lettner verbundene, farbig gefaßte Steinfigur Salomos den gerechten weltlichen Herr-
scher und Richter verkörperte. Wie weit das am und im Querhaus des Straßburger Münsters auf Salomo bezogene Bild-
programm hier umgesetzt war, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis. Hingewiesen sei jedoch auf die Wiederkehr der
Straßburger Darstellungen von Tod, Grabtragung, Himmelfahrt und Krönung Mariens im Maßwerk des Schneider- und
des Märtyrerfensters (s. hierzu S. 192,177).
Aus den Überresten der ursprünglichen Farbverglasung der südlichen Querhausrose - in Freiburg besonders verehrte
Heilige - läßt sich dagegen kein spezifisches Bildprogramm mehr erschließen (s. S. 116-118). Dennoch spricht einiges
dafür, daß die aus den Maßverhältnissen erschlossenen Kreismedaillons der Fenstergruppe darunter Szenen der Vita
Johannes des Täufers gezeigt haben32. Ihm war der zwischen den Aufgängen zum Chor in der Achse von Hoch- und
Kreuzaltar zu lokalisierende Altar (s. Fig. 18) geweiht gewesen33. Der Taufstein stand, unweit davon entfernt, am sog.
Frauenchörlein westlich vom Hl. Grab. Das südliche Querhausportal mit dem wohl vom Westportal des Gründungs-
baues hierher übertragenen Bild des Hl. Nikolaus im Tympanon wurde noch im frühen 16. Jahrhundert als »Segenstür«
bezeichnet, weil jede Mutter, die zum ersten Mal nach der Geburt eines Kindes wieder das Münster betrat, hier gesegnet
wurde34. Auf die liturgische Funktion dieses Eingangs im Taufvollzug könnten die Darstellungen in der Fenstergruppe
darüber Bezug genommen haben.

28 Vgl. hierzu bereits S. 84, Anm. 18, sowie S. in, Anm. 75-77.
29 Für Maria Magdalena sei auf die allerdings nur 38x13 cm große, um
1170 in Salzburg entstandene Magdalenen-Scheibe aus Weitensfeld, für
Nikolaus auf die ursprünglich etwa 92x36cm große, möglicherweise um
1230 in Konstanz geschaffene Nikolaus-Scheibe aus Göfis verwiesen. Zu
beiden Werken vgl. jetzt CVMA Österreich IV, 2007, S. XXVIIIf., 519-522.
30 Zu den zahlreichen französischen Glasmalereizyklen mit Darstellun-
gen der Vita von Maria Magdalena und Nikolaus aus dem frühen 13. Jh.
vgl. LCI VII, 1974, Sp. 527-529, bzw. VIII, 1976, Sp. 54k
31 Hierzu bereits Becksmann 2005, S. i8f., Anm. 12.
32 In der Dreifenstergruppe unter der Rose des Peter von Arras im Süd-

querhaus der Kathedrale von Lausanne befinden sich noch drei Scheiben
eines bald nach 1219 wohl für die Johanneskapelle hinter dem Hoch-
altar geschaffenen Zyklus Johannes des Täufers. Vgl. hierzu Beer 1956,
S. 58-60, yif., Taf. 2,40L, Farbtaf. 6.
33 Zuletzt hierzu Butz 1973, S. 171,176-179,181,189, mit Nachweis der
Ungereimtheiten in der älteren Literatur. Daß der Johannesaltar bis 1511
nicht in der Vierung, sondern nur davor im Langhaus gestanden haben
kann, wird durch den Text einer Jahr Zeitstiftung von 1493 (Butz 1973,
S. 90, Anm. 12) bestätigt, in der es heißt: domitten in der Kirchen vor
Sant Johanns altar.
34 Vgl. hierzu Müller 1970, S. 173!.
 
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