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Becksmann, Rüdiger
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Freiburg im Breisgau: Münster Unserer Lieben Frau — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 2,2, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.52840#0166

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ERSTVERGLASUNG

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1. DIE ERSTVERGLASUNG DES LANGHAUSES
Gegenwärtiger Bestand: Von den sieben Seitenschiffenstern, die bereits im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts figür-
lich verglast worden waren, haben nur drei Fenster mehr oder weniger umfangreiche Reste ihrer Erstverglasung an Ort
und Stelle bewahrt: Von ursprünglich 143 Feldern blieben lediglich 55 erhalten. Mit 36 zu drei Feldern ist das Verhältnis
für die vier östlichen Hochschiffenster noch wesentlich ungünstiger. Hinzu kommen allerdings die von Geiges aus-
geschiedenen, heute im Augustinermuseum befindlichen Reste: fünf Scheibenfragmente, ein Wappen und sieben Köpfe.
Komposition, Ornament, Farbigkeit: Auf Grund der Überlieferung kann nur für die hierarchisch gegliederten vier-
bzw. dreibahnigen Maßwerkfenster in den Seitenschiffen des zweiten und dritten Langhausjoches noch eine verwertbare
Aussage über ihre kompositionelle und farbliche Gestaltung gemacht werden. Sie ist jedoch vor allem im Hinblick auf
die gleichzeitig verglasten Seitenschiffenster im Langhaus des Straßburger Münsters sehr aufschlußreich34. Anders als in
Straßburg, wo nur die oberen Kreisrosetten mitunter von figürlichen Pässen umgeben sind, während die unteren stets
mit farbig strukturierten Ornamentgrisaillen gefüllt wurden, kommt es in Freiburg auch auf der Nordseite trotz Reduk-
tion der Fensterform zu keiner Einschränkung der figürlichen Verglasung im Maßwerk. Vielmehr werden gerade hier die
Pässe nicht nur mit Engeln gefüllt, sondern auch dazu genutzt, die Darstellungen in den zentralen Rundfeldern zu ent-
lasten, indem etwa ein Teil der Apostel des Marientodes (Fig. 162) in die Pässe gerückt wird35. Überhaupt wurde in Frei-
burg im Gegensatz zu Straßburg, wo man vor allem auf der Südseite komplizierte geometrische Rahmungen bevorzugte
(Fig. 137), die Rahmung nicht nur im Maßwerk, sondern auch in den Bahnen zugunsten der Bildfelder in der Regel auf
schlichte, perlstabbesetzte Kreisformen reduziert, was der Lesbarkeit der Darstellungen wie ihrer emotionalen Anschau-
lichkeit in hohem Maße entgegenkam. Diesem Gestaltungsprinzip entspricht im Märtyrerfenster (Fig. 142) auch der
klare, fast heraldisch zu nennende rot/blaue Farbwechsel der Gründe: in den Medaillons der Bahnen über Kreuz und in
den Kreisrosetten der Maßwerke in radialer Abfolge von innen nach außen. Dabei wird das Prinzip nicht stur angewandt,
sondern, wie die Maßwerkrosetten des Schneiderfensters (Fig. 162,164,167) belegen, stets den jeweiligen inhaltlichen
Vorgaben angepaßt. Obwohl die Farbskala auf leuchtendes Gelb, intensives Blau, kräftiges Rot, helles Grün und gedeck-
tes Weiß beschränkt bleibt und nur zurückhaltend um Karminrot, Dunkelgelb, Grau- und Purpurviolett erweitert wird,
sorgt auch in den Figuren der lebhafte Farbwechsel über Kreuz für einen kaleidoskopartigen Gesamteindruck, der für
die Erstverglasung der drei östlichen Langhausjoche als besonders charakteristisch bezeichnet werden kann.
Selbst in den vier östlichen Hochschiffenstern dürften die beiden perlstabbesetzten farbigen Flechtbandmuster
(Fig. 193 f.), dem gleichen Gestaltungsprinzip folgend, Form und Farbigkeit fensterweise über Kreuz gewechselt haben,
wie dies die Rekonstruktionen zeigen, die 1981 nach meinen Entwürfen (Fig. 191h) von Oidtmann unter Verwendung
von drei orginalen Feldern gefertigt und an überlieferter Stelle eingesetzt worden sind. In ihrer Farbskala fehlt lediglich
das irdische Grün. Wie sehr diese vereinfachte, formal vergröberte kaleidoskopische Brechung des Farblichts die Ge-
wölbe der beiden östlichen Hochschiff joche dennoch in einem den Besucher bergenden Sinne zu schließen vermag,
macht die gegensätzliche Wirkung in den heute weitgehend blankverglasten westlichen Hochschiff jochen deutlich.
Auch wenn die nur aus spärlichen Resten (Fig. i86f.) erschlossene Ornamentverglasung der westlichen Seitenschiff joche
mit ihren ganz in Grisaille gehaltenen kleinteiligen Blattkreuzen in Flechtbandquadraten diese mit einem ungleich helle-
ren Raumlicht erfüllt hat, dürfte sie schon wegen der Breite der Fensterbahnen und der Größe der Kreisrosetten im
Maßwerk nicht ohne farbig eingefaßte Borten geblieben sein36. Zusammen mit den aus farbigem Blankglas bestehenden
Zwickeln des Maßwerks (Fig. 185) dürften diese wie in Köln und Haina durch einen rhythmisierten Farbwechsel ent-
scheidend zur Strukturierung der Fensterbahnen und Maßwerkfüllungen beigetragen haben.

34 Vgl. hierzu Christiane Wild-Block bzw. Victor Beyer, in: CVMA
France IX,i, 1986, S. 141-154, Fig. 139, 148, 153, 162 bzw. S. 201-207,
Fig. 183,192,199, 208. - Brauchbare farbige Gesamtaufnahmen eines Teils
dieser Fenster finden sich jetzt in einem Beitrag von Frangoise Gatouil-
lat, in: Strasbourg. La gräce d’une cathedrale, Straßburg 2007, S. 234, 24of.
35 In Straßburg geschieht Entsprechendes in drei Fenstern der Nordseite.
Dort werden bei einer Folge von Darstellungen der Erscheinungen Chri-
sti nach dem Tode etwa die Grabwächter der Auferstehung oder die beim
Ungläubigen Thomas und der Begegnung Maria Magdalenas (?) mit Petrus
anwesenden Apostel einzeln oder paarweise in die Pässe verwiesen, wäh-

rend das zentrale Rundfeld den Hauptfiguren vorbehalten bleibt. Vgl. hier-
zu nochmals CVMA France IX,1, 1986, Fig. 145!., 148,153!., 162-164.
36 Am besten läßt sich dies an Hand der kolorierten Tafeln XI und XII
in Boisserees Kölner Domwerk von 1823 (s. CVMA Deutschland Stu-
dien II, 1996, S. 126L) nachvollziehen; man beachte jedoch, daß die
Couronnements des Achsenfensters (Taf. XII, unterste Zeile) bis auf die
Zwickel um 1330/40 verneut worden sind. Außerdem sei auf die älteren
Teile der Verglasung des Nordquerhaues sowie die unteren Nordfenster
im Langhaus der Klosterkirche Haina aus der Zeit um 1260/70 verwie-
sen. Vgl. hierzu Parello 2008, S. 149-154, Fig. 97, 100-104.
 
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