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Becksmann, Rüdiger
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Freiburg im Breisgau: Münster Unserer Lieben Frau — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 2,2, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.52840#0132

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EHEMALS QUERHAUS nord IV (OSTFENSTER)

4. DIE EHEMALIGE FARBVERGLASUNG DES OSTFENSTERS IM NORDQUERHAUS
Bibliographie: Geiges 1931—1933, S. 28-30, 43f., Abb. 86f. (vermutet in zwei Scheiben einer Standfigur eine Darstel-
lung des Stadtpatrons Georg und im Ostfenster des Nordquerhauses dessen ursprünglichen Standort, betont die gegen-
über den Standfiguren der Nordfenster abweichende Farbigkeit, datiert um 1260/70); Kat. Ausst. Freiburg i. Br. 1946,
Nr. 115 (Oberrhein, um 1230); Becksmann 1967, S. 62-64 (hält spätromanischen Ornamentrahmen für nicht zugehörig;
denkt an die Fenstergruppe im Südquerhaus als ursprünglichen Standort, datiert um 1250); Krummer-Schroth 19^7,
5. 43, 174, bzw. 1978, S. 23, 87 (führt den Stil auf die Ritterheiligen im Südquerhaus des Straßburger Münsters zurück,
läßt den ursprünglichen Standort offen); dies., in: Kat. Ausst. Freiburg i. Br. 1970, Nr. 17 (wie 1967; folgt nun in der
Datierung Becksmann); Parello 1998, S. 146, Anm. 489 (vermutet eine Herkunft der Ornamentborte aus den seit-
lichen Fenstern des spätromanischen Chores und nimmt an, daß die Figur bereits 1493 in eine westliche Fensterbahn des
spätgotischen Hochchores versetzt worden sei).
Zur Frage des ursprünglichen Standorts: Da sich aus den beiden erhaltenen Scheiben für den Figurentabernakel
nur Abmessungen von etwa 2,18 x0,76 m ergeben, scheiden nicht nur die etwa 3,50 m hohen und 1,25 m breiten Fenster-
öffnungen der Südquerhausfassade, sondern auch alle Fensterbahnen der östlichen Langhausjoche als Standorte aus. In
Frage kommt statt dessen nur, wie Geiges bereits vermutet hatte, das ehemalige Fenster in der Ostwand des nördlichen
Querhauses (4), das heute als Zugang zum Obergeschoß der Annenkapelle dient (Fig. 91). Da die Annenkapelle und ihr
durch eine Wendeltreppe im östlich anschließenden Strebepfeiler erschlossenes Obergeschoß erst nach 1513 hochgeführt
worden waren, kann das Fenster frühestens 1515 seine Funktion als direkte Lichtquelle eingebüßt haben125. Es ist daher
unwahrscheinlich, daß die Scheiben bereits 1493 zusammen mit den Resten der Chorverglasung (s. S. 94) in das nord-
westlichste Fensterpaar des Hochchores versetzt worden sind, wie Parello angenommen hat. Mit einer lichten Öff-
nung von 2,28x0,73 m entspricht das Ostfenster nicht nur dem Breitenmaß der erhaltenen Scheiben, sondern hat auch
Ausbuchtungen für Quereisen bewahrt, die eine Felderhöhe von etwa 68 cm für die beiden Rechteckfelder und von etwa
90cm für das Rundbogenfeld belegen. Der mit 6:6cm üppig dimensionierte innenseitige Fensteranschlag könnte darauf
hinweisen, daß die drei Felder wie diejenigen der Nordfenster (s. S. 127) einst von Holzrahmen gefaßt gewesen waren.
Rekonstruktion, ikonographisches Programm: An Hand dieser Maßvorgaben läßt sich die ursprüngliche Farb-
verglasung des dreiteiligen Ostfensters ziemlich genau rekonstruieren (Fig. 92): Das untere Feld wurde um etwa 12 cm in
der Höhe beschnitten; ursprünglich ruhte die draufsichtige Bodenplatte, auf der der Ritterheilige steht, wie der Thron
der Marienkrönung im Maßwerk des Märtyrerfensters (Abb. 60) wohl auf einem Blendarkadensockel. Über der Boden-
platte setzten die Basen der Säulenarkade an. Das obere Rundbogenfeld mit Kopf und Banner des Heiligen unter einer
Wimpergbekrönung hat seinen ursprünglichen Bleiriß dagegen bis auf die rechts in ihrer Abfolge gestörte Ornament-
borte bewahrt. Das Mittelfeld zeigte den in einen weißbraunen Ringelpanzer gehüllten und von einem ärmellosen gelben
Waffenrock bedeckten Oberkörper des Heiligen; in der Rechten hielt er die Fahnenstange, in der Linken den Schild. Wie
bei zwei Ritterheiligen im Südquerhaus des Straßburger Langhauses ist der Schild verkürzt dargestellt; d. h. die rechte
Maßwerkborte ist nicht der rechte Rand, sondern die Mittelachse des Schildes. Möglicherweise war diese wie bei dem
Hl. Victor Teil eines Kreuzes, das den Schild zierte126. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß der Schild nur einen gelben Pfahl
auf rotem Grund gezeigt hat. Dies muß jedoch nicht gegen eine Identifizierung des Ritterheiligen mit Georg, dem Patron
der Kreuzritter und ältesten Patron der Stadt Freiburg, sprechen127. Vielmehr liegt seine Darstellung an dieser Stelle auch

125 Zur Baugeschichte der Annenkapelle vgl. zuletzt Flum 2001, S. 38f.,
74!., 81. - Da die Fensteröffnung erst 1790 mit der Versetzung des
Renaissance-Lettners in die Querhausarme als Zugang vom Querhaus in
das Obergeschoß der Annenkapelle genutzt werden konnte, ist nicht
auszuschließen, daß die Farbverglasung bis zu diesem Zeitpunkt in situ
verblieben war. Möglicherweise ist sie aber auch schon um 1580 zusam-
men mit der Figur des Hl. Josaphat (Fig. 89) in die damals umgestaltete,
1752 abgetragene Andreaskapelle und anschließend in die Schatzkammer
gelangt. Vgl. hierzu S. 124.
126 Vgl. Christiane Wild-Block, in: CVMA France IX,1, 1986, S. 103-
112, bes. S. 107, Fig. 85-88, Taf. I. Von den um 1230/35 ausgeführten
Figuren ist diejenige des Hl. Candidus in allen Teilen durch originalen

Bestand gesichert, während diejenige des Hl. Victor nur noch im unteren
Feld alte Teile enthält; die beiden oberen Felder waren 1871 nach den
zerstörten Originalen und einer nach 1855 angefertigten Entwurfszeich-
nung von E. Haas (Zschokke 1942, Abb. 5) neu geschaffen worden. Ob
sie die Form des Schildes zuverlässig überliefern, ist daher nicht sicher.
127 Schild und Banner sind eher seltene Attribute Georgs, doch ist
seine Fahne fast immer weiß und das Kreuz rot. Lanze, Schwert und
Schild zeichnen die um 1280 entstandene Georgsstatue am Westturm
aus. Einzeldarstellungen des Hl. Georg finden sich nach Braun 1943,
Sp. 283-289, zwar seit dem späten 12. Jh., häufen sich aber erst im 14. Jh.
Vgl. hierzu auch Sigrid Braunfels-Esche, Sankt Georg. Legende, Ver-
ehrung, Symbol, München 1976, S. 199-202.
 
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