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Becksmann, Rüdiger
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Freiburg im Breisgau: Münster Unserer Lieben Frau — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 2,2, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.52840#0521

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MÜNSTER • SPÄTGOTISCHER CHOR • VERGLASUNG DER CHORKAPELLEN

146-148. SÖHNE DES STIFTERS UND SEIN BRUDER
BARTHOLOMÄUS STÜRTZEL MIT SOHN JAKOB
Fig. 618, 620, Abb. 307
Inv. Nr. 54/M, 53/M, 52/M. Ehemals Chor s XI, i~3a.
Drei Rechteckscheiben. 18,5/101/102 cm, B. 109-nocm.
Mit Hilfe des 1510 zwischen den Söhnen und der Frau des ver-
storbenen Stifters geschlossenen Erbvertrags und des im gleichen
Jahr von Kaiser Maximilian ausgestellten Lehensbriefes266 lassen
sich die dar gestellten männlichen Mitglieder der Familie Stürtzel,
wie folgt, identifizieren: Angeführt wird die Reihe von Konrad
dem Jüngeren, dem 1530 ohne männliche Nachkommen verstor-
benen ältesten Sohn des Kapellenstifters. Wie anfänglich sein Vater
war er in Ensisheim für die vorderösterreichische Regierung tätig,
trat 1512 jedoch von seinem Dienst zurück, um sich ganz der
Verwaltung der ausgedehnten Stürtzelschen Besitzungen widmen
zu können. Seine drei Brüder Georg, Christoph und Maximilian
waren Geistliche. Der bereits 1509 verstorbene Georg wurde,
ohne sein Studium beendet zu haben, Kanonikus in Thann, der
1524 verstorbene Christoph Chorherr am St. Margaretenstift in
Waldkirch; über den zwischen 1513 und 1522 verstorbenen Ma-
ximilian ist nichts Näheres bekannt. Da alle drei 1528 bereits ver-
storben waren, wurden sie in die zweite Reihe hinter ihren älte-
sten Bruder gerückt. Das nach ihm wichtigste lebende männliche
Familienglied war Dr. Jakob Stürtzel, der Sohn des Bartholo-
mäus Stürtzel, des jüngeren Bruders des Kapellenstifters; zu-
sammen mit seinem Vetter Konrad wird er 1510 als Lehensträger
genannt. Dies erklärt, warum er als einziger hinter Konrad in
der ersten Reihe erscheint. Der hinter ihm in der zweiten Reihe
kniende ältere Ritter muß folglich sein 1508 verstorbener Vater
sein, der bei Sigmund und Maximilian in miltärischen Diensten
stand. Dies legen auch die bisher übersehenen Ritterorden über
seinem Kopf in 3a nahe267. Zur Sockelinschrift s. S. 515.
Erhaltung: Inschrifttafel bis auf Notbleie intakt erhalten, aller-
dings dürften die Gläser des oberen Rahmens bereits im 16. Jh.
ersetzt worden sein, da ihre Zeichnung nicht den originalen Glä-
sern entspricht. Vermutlich hängt damit auch die durch den Text
nicht zu erklärende Leerstelle am Anfang zusammen. Die mit
andeutender Zeichnung versehenen Ergänzungen in der Rüstung
des an vorderster Stelle knienden Ritters bzw. im Architrav dar-
über gehen vielleicht auf die Brüder Heimle zurück, die 1833
Reparaturen an den Chorkapellenfenstern vorgenommen haben
(s. Reg. Nr. 91). Obwohl das Erscheinungsbild durch großflächige
Ausbrüche des verbräunten leinölhaltigen Überzuges stark be-
einträchtigt wird, hat dieser vor allem in den Stifterfiguren, aber
auch in den Engeln der Architekturbekrönung zur partiellen Be-
wahrung der originalen Zeichnung beigetragen.
Ikonographie, Komposition, Farbigkeit: Zumindest dem in Prunk-
rüstung dargestellten ältesten Sohn könnte eine Porträtstudie
Baldungs zugrunde liegen; sein damaszierter Waffenrock greift
die Farbigkeit des Wappenbildes auf. In den übrigen Profilköp-
fen wird vor purpurviolettem Damastgrund die Familienähnlich-
keit herausgearbeitet. Die Gruppe der männlichen Familienmit-
glieder wird von einem reich profilierten gelben Gebälk bekrönt,
dessen Wangen, die Form der Kapelle aufgreifend, keilförmig in
die Tiefe stoßen, während in der vordersten Ebene schnecken-
förmige Voluten vor blauem Damastgrund einen Bogen bilden.
Am Architrav, auf den Voluten und auf den Deckplatten tum-
meln sich in gewagter Haltung und starker Verkürzung nackte
Engel, während eine zweigeteilte grüne Blattgirlande mit roten
Früchten zwischen einer entsetzt nach oben blickenden Blatt-
maske den tiefenräumlichen Sog zu negieren scheint (Fig. 615)268.

Technik: Das durch extrem feinen Auschliff ermöglichte rot/weiß
plissierte Untergewand des Waldkircher Chorherrn verdient be-
sonders hervorgehoben zu werden.
CVMAB 13h, 33 (1966), Großdia E 66-68, 71h (2009)
149-151. TÖCHTER DES STIFTERS KONRAD
STÜRTZEL MIT EHEFRAU Fig. 618,620, Abb. 308
Inv. Nr. 57/M, 56/M, 55/M. Ehemals Chor sXI, i~3b.
Drei Rechteckscheiben. H. 17,5/101/102 cm, B. 109 cm.
Konrad Stürtzel (s. S. 519) war in erster Ehe mit Elisabeth Grie-
ser verheiratet; die Ehe blieb kinderlos. Nach ihrem Tod heira-
tete er die ebenfalls aus einer vermögenden Freiburger Familie
stammende Ursula Laucher, die ihm vier Söhne und zwei Töch-
ter gebar. Sie überlebte ihren erheblich älteren Mann um neun
Jahre. Nach 1510 heiratete Anna, die ältere Tochter, Michael von
Blumeneck, die jüngere Elisabeth den 1529 bereits verstorbenen
Wolf von Andlau269. Diesem Umstand trägt die Darstellung da-
durch Rechnung, daß sie die gleiche Haube wie ihre Mutter trägt.
Zur Sockelinschrift s. S. 515.
Erhaltung: Die vierte Inschriftttafel war bereits im 17. Jh. so zer-
stört gewesen, daß man sie teilweise erneuern mußte. Bei dieser
Maßnahme ging wohl auch das letzte Wort der Inschrift und der
rechte Abschluß des Rahmens verloren. Zum Ausgleich wurden
in jüngerer Zeit neutrale Glaser eingesetzt, wie sie auch in 2/$a
an zwei Stellen zu finden sind. Der originale Glasbestand ist hier
jedoch, von Sprüngen abgesehen, nahezu intakt geblieben. Das
durch Bemalungsverluste und korrodierte Überzüge geprägte
Erscheinungsbild ist insofern sehr unterschiedlich, als der zur
Dämpfung des Lichtes kalt aufgetragene Überzug in den drei
Frauen weitgehend abgefallen ist und hier die originale Bema-
lung, wenn auch auf die Untermalung reduziert, wieder sichtbar
ist, während der in der Architekturbekrönung noch weitgehend
erhaltene braunschwarze Überzug durch seine starke Abdunk-
lung einen falschen Eindruck vermittelt.
Ikonographie, Komposition, Farbigkeit: In die Tiefe gestaffelt
knien die beiden Töchter mit ihrer Mutter vor deren Wappen (in
grünem Schild ein eingebogener goldener Keil und ein mit einem
goldenen Keil belegter, golden bewehrter, mit Pfauenfedern be-
steckter grüner Adlerhals als Helmzier). Erscheint die ältere
Tochter mit dem modischen Federhut im strengen Profil, so zei-
gen die jüngere Tochter und die Mutter vor rotem Damastgrund
ein verlorenes Profil. An einem aus drei Pilastern und zwei
Rundbögen bestehenden, stark verkröpften graublauen Gebälk
hängen zwei von Engeln bevölkerte Blattgirlanden, während ein
in grisaillefarbenem Blattwerk versteckter Löwenkopf auf dem
Gesims vor purpurvioletten Damastgrund die Mittelachse mar-
kiert270. CVMAB 15h, 33 (1966), Großdia E 66, 69E (2009)
266 Nachweise hierzu bei Steffens (wie Anm. 263), 2010, S. 47!.; ebenda,
S. 53, eine unvollständige Verwandtschaftstafel.
267 Sie weisen ihn wie die Herren von Rappoltstein (s. S. 43 if.) als Mit-
glied des Ritterordens vom Hl. Grab, des Katharinenordens und der St.
Jakobsbruderschaft aus. Vgl. hierzu Ganz (wie Anm. 99), 1905, S. 31-36.
268 Im Sockel des Ferdinandfensters der südlichen Kaiserkapelle (Fig. 608)
hatte Baldung eine ähnlich aggressive Form schon einmal verwendet.
269 Angaben nach Rannacher (wie S. 517), 1976, S. 29. Wolf von Andlau
ist wohl identisch mit dem als Jüngling dargestellten Wolfgang auf dem
um 1510 von Baldung gezeichneten Scheibenriß mit Ritter Veltin von
Andlau und seinen zehn männlichen Angehörigen (Koch 1941, Nr. 72).
270 Auch diese Bekrönung greift ein Architekturmotiv auf, das Baldung
bereits in der südlichen Kaiserkapelle, und zwar im Sockel des Karl-
fensters (Fig. 607) eingesetzt hatte.
 
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