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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

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Bürdek, Bernhard E.: Elektronik und Vernunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0016
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aude, Habe Muth, dich deines eigenen Ver-
standes zu bedienen! ist also der Wahl-
spruch der Aufklärung“. 714/

Dieser Gedanke von Aufklärung führte dann
zu den drei Meta-Erzählungen der Moderne

/15/:

- die aufklärerische von der Emanzipation
der Menschheit

- die idealistische von der Teleologie (also
die Zielgerichtetheit, Zweckorientiert-
heit) des Geistes

- und die historische von der Hermeneutik
des Sinns,

die erst im Zuge der aufkommenden Post-
moderne - also gegen Ende der 70er Jahre -
insbesondere durch Philosophen wie Lyotard
und Baudrillard ernsthaft in Frage gestellt wor-
den sind.

Die Vernunft war dann auch die prägende Kraft
im 19. Jahrhundert, die zu dem führte, was wir
heute funktionale Gestaltung (Wend Fischer)
bezeichnen: „Wir erkennen uns wieder in den
Anstrengungen der Vemunft, gegen die Will-
kür des historischen Formalismus die Idee
funktionaler Gestaltung durchzusetzen, damit
die Welt des Menschen, ihre Städte, Pläuser,
Räume, Geräte eine charaktervolle Gestalt er-
halten“/16/. Die Kontinuität der Aufklärung und
Vernunft wurde im Bauhaus beispielhaft wei-
tergeführt, ich verzichte dazu an diesem Ort
auf weitere Ausführungen.

Nach dem zweiten Weltkrieg war es dann die
Ulmer Hochschule für Gestaltung, in deren Er-
kenntnisinteresse die Entwicklung und Gestal-
tung industriell gefertigter Massenprodukte,
die im alltäglichen Gebrauch, in der Verwal-
tung und Produktion eingesetzt werden soll-
ten, stand. Insbesondere die damals ent-
wickelte Entwurfsmethodologie zielte darauf
ab, alle die Faktoren zu berücksichtigen, die
ein Produkt bestimmen: funktionelle, kultu-
relle, technologische und wirtschaftliche. Ulm
war in der kurzen Zeit seines Bestehens si-
cherlich die Hochburg cartesianischen Den-
kens und wurde nicht zuletzt deshalb in den
80er Jahren von den Vertretern des Neuen
Designs so vehement bekämpft. Gui Bonsiepe

/17/ hatte auf dem IFG-Forum 1989 in Ulm
zum Thema „Kulturelle Identität“ noch einmal
an die geistige Tradition Ulms erinnert: „Die
HfG Ulm war so anziehend, weil sie mit Lei-
denschaft versuchte, das Design in eine be-
gründbare Tätigkeit zu verwandeln und aus
blinder ad hoc-Praxis zu befreien. Das ist ge-
legentlich mißverstanden worden als ein Ver-
such, das Design in eine Wissenschaft ver-
wandeln zu wollen“. Und aus seinen über
zwanzigjährigen Erfahrungen mit dem Design
in der Dritten Welt konstatierte er: „Mir will
scheinen, daß die konstitutive institutionelle
Brüchigkeit des Designs in der Peripherie
durch das Ulmer Modell gekontert wurde,
demzufolge Design nicht blindes Herumhan-
tieren ist, sondern gründendes und begründe-
tes Tun. Design muß nicht eine Domäne blei-
ben, wo geschwafelt wird, sondern wo präzise
Rede möglich ist. Das mag heute selbstver-
ständlich sein, war es aber seinerzeit (zur Zeit
der HfG Ulm) durchaus nicht“.

Ulm war prägend für eine Geisteshaltung im
Design der 60er und 70er Jahre und geriet erst
im Zuge der bereits erwähnten Studen-
tenbewegungen unter Beschuß, was jedoch
für die Praxis des Designs unbedeutsam blieb.
Das Dogma der „Guten Form“ wurde insbe-
sondere von der Industrie am Leben gehalten,
die bereits erwähnten Firmen sind dafür gute
Beispiele.

In den ausgehenden 70er Jahren geriet die
Vernunft ernsthaft in die Krise. Paul Feyer-
abends /18/ Motto: „Der einzige Grundsatz,
der den Fortschritt nicht behindert, lautet: Any-
thing goes (Mach, was du willst)“ begründete
mit die Abkehr von der „Einheit der Wissen-
schaften“. Das Verdienst der Postmodernen
warsicherlich ihr Plädoyerfürden Pluralismus,
der Übergang zur Beliebigkeit folgte ihr jedoch
auf den Fuß. Immerhin, es wurde erkannt, daß
es nicht nur eine „Wahrheit“ gibt. Die anschei-
nend so hochgehaltene Vernunft schlug in der
Technik in ihr Gegenteil um: Mit dem Schiff er-
fand man den Schiffbruch, mit der Lokomotive
die Entgleisung, mit dem Automobil die Ver-
kehrsunfälle und mit den Atom-Kraftwerken
die radioaktiven Katastrophen.

Die Aufklärung wurde durch die Abklärung ab-
gelöst: „Abklärung - das ist der Ausstieg aus
der Reflexionsspirale sich gefräßig fortzeu-

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