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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

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Meurer, Bernd: Gestaltung Mythos Vernunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0030
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Abb. 1

AEG-Turbinenfabrik von Peter Behrens
1909-1910

Abb. 2

Mechanisierung der Schulwelt. Massenpro-
duzierte Schulbank aus Gusseisen und
Holz von Carl Elsaesser Ende der siebziger
Jahre des 19. Jahrhunderts

Abb. 3

Twist Mill in Salford von Boulton und Watt
1799-1801. Bei diesem frühen Beispiel
gusseiserner Innenskelettkonstruktion fun-
gieren die Stützen zugleich als Heizkörper
der ersten Zentralheizung ihrer Zeit. Der
Dampf der Antriebsmaschine wurde durch
die aus Gewichtsersparnisgründen hohlen
Säulen geleitet.

die tradierten bürgerlichen Lebens- und Wert-
vorstellungen zur Disposition gestellt wurden,
hat in Stilerörterungen, wie in der genannten
von Philip Johnson, keinen Platz.

In dieser Diskrepanz zeigt sich die Kluft zwi-
schen einerseits dem Versuch, sich gestal-
terisch produktiv mit der technisch wissen-
schaftlichen und sozial kulturellen Entwick-
lung auseinanderzusetzen und andererseits
der Orientierung an, wie man sagt, zeitlosen
ästhetischen Prinzipien.

Was daran für die heutige Gestaltungspraxis
so typisch erscheint, hat seine Wurzeln in
den Auseinandersetzungen, die mit der Ent-
stehung dessen verknüpft sind, was heute ge-
stalterische Moderne genannt wird.

Als architekturgeschichtliche Fixpunkte für die
Emanzipation der gestalterischen Moderne
vom Historismus, von der Neugotik und vom
Jugendstil werden üblicherweise die 1910 er-
baute AEG-Turbinenhalle von Peter Behrens
und die im Jahr darauf entstandene Fagusfa-
brik von Walter Gropius angeführt.

Nur haben Gestalter wie Behrens und Gropius
das, was später als Neue Sachlichkeit be-
zeichnet wird, keineswegs begründet. Aber ih-
nen kommt das Verdienst zu, die lange zuvor
begonnene außerkünstlerische Entwicklung
industrieller Gestaltung, die ebenso lautlos wie
massenhaft die industrielle Lebenswelt - vom
Arbeitsplatz über die Verkehrs- und Kommu-
nikationsmittel bis hin zur Schulbank - längst
durchdrungen hat, aufgegriffen und in die Pra-
xis der künstlerischen Architekturentwicklung
eingeführt zu haben.

Die Grundlagen industrieller Gestaltung be-
gannen sich im 19. Jahrhundert in Wechsel-
wirkung mit der Systematisierung der indu-
striellen Arbeitsteilung und der ökonomischen
Definition des Menschen überZeiteinteilungen
herauszubilden. Beispiele wie die 1801 fertig-
gestellte Twist Mill von Boulton und Watt oder
die 1832 in Chicago erstmals verwirklichte Bal-
loon Frame Construction zeigen, wie eng in
der Architektur die Herausbildung industrieller
gestalterischer Prinzipien mit der Entfaltung
derTechnik und den sozial kulturellen Umwäl-
zungen, die der gesellschaftlichen Formierung
zur industriellen Arbeitsgesellschaft erwuch-
sen, verknüpft war.

Sinngemäß verlief die Entwicklung in Produkt-
gestaltung und Grafik. In der Eisenbahngestal-

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