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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Bergius, Hanne: Ästhetische Imaginationen zum künstlichen Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0018

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Abb. 6: Oskar Schlemmer: Stäbetanz, 1927

Umbo (Otto Umbehr) entwirft 1926 eine
Komposit-Montage (Abb. 7) von dem rasen-
den Reporter Egon Erwin Kisch, der mit neu-
en Prothesen der Produktion und der Re-
produktion zusammengesetzt ist: Das Auge
ersetzt die Fotokamera, das Ohr der Grammo-
phontrichter, den Brustkorb die Schreibma-
schine, die Füße das Auto und das Flugzeug.
Mit seiner neuen erweiterten Wahrnehmung
eroberte er die Welt und verband die Fähig-
keit, die Brecht für den neuen Menschen, der
mit den zeitgenössischen Medien verschmolz,
in Anspruch nahm: „Simultan aufzunehmen
oder kühn zu abstrahieren oder schnell zu
kombinieren". (18)

Dieses urbane Training der Sinne, das sich
geradezu athletisch konditionierte, bedeute-
te für den russischen Filmemacher Vertov erst
die Filmfähigkeit des Menschen. Erst der
Mensch, der sich den tiefgreifenden, indu-
strialisierten Veränderungen des Wahr-
nehmungsapparates anpassen konnte, der
mit Geschwindigkeit, Präzision und Gleichför-
migkeit der Maschine verschmolz, dieser
Mensch war „befreit von Schwerfälligkeit und
linkischem Wesen", und wurde „mit den ge-
nauen und leichten Bewegungen der Maschi-
nen ein dankbares Objekt für die Film-
aufnahme". (19)

Die Übertrumpfung der Schwerkraft des
Menschen und der Körperphysik waren ein
Faszinosum, das die Medien mitgeschaffen
hatte: Leichtigkeit, Beweglichkeit, Verände-
rungen der Körper, das Spiel mit den Dimen-
sionen - das wirkte weiter in die Phantastik
der virtuellen Welten des Cyberspace. Die
Schwerelosigkeit wird frei verfügbar - jedoch
ohne utopische Vision.

Abb. 7: UMBO (Otto Umbehr):

Bildnis Egon Erwin Kisch, 1926

6. Von der Extension des Körpers zur
Cyberphantastik

Die Extension des Körpers durch Prothesen
von Sinneswerkzeugen, die sich in den
zwanziger Jahren vorbereitete, steigert der
australische Künstler Stelarc gegenwärtig mit
den Mitteln der Computer-Industrie. (Abb. 8)
Seine computergestützten Selbstversuche, die
den mit Elektroden und Antennen übersäten
Körper programmierbar machen, sollen einen
größtmöglichen Gewinn an Autarkie bringen:
„lch versuche die Möglichkeiten des Körpers
zu erweitern, indem ich die Technologie nut-
ze. So verwende ich beispielsweise medizini-
sche Techniken, Tonsysteme, eine Roboter-
hand, einen künstlichen Arm. Bei meinen Auf-
tritten gibt es vier verschiedene Bewegungs-
arbeiten: die improvisierte Bewegung des
Körpers, die Bewegung der Roboterhand, die
durch Signale meiner Bauch- und Bein-
muskulatur gesteuert wird; die programmier-
te Bewegung des künstlichen Armes. (...) Ich

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