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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Suckow, Michael: Die virtuelle Landpartie - ein Spaziergang durch unsere Vorstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0207

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Michael Suckow

Die virtuelle Landpartie -

Ein Spaziergang durch unsere

Vorstellungen

Was einst erblüht in stolzer Pracht,
versunken nun im tiefen Schoß der Erde -
Wir fördern es aus tausendjährger Nacht,
auf das es wieder Licht und Wärme werde.
Glück auf!

Denkschrift „25 Jahre Michel-Werke" (1931)

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie zu einem Spaziergang durch
reale und imaginäre Landschaften einladen.
Es wird eine Reise durch Raum und Zeit, von
Ort zu Ort, über Stock und Stein. Der Weg
führt ins Ungewisse, Unwegsame, in die Wild-
nis und wieder zurück zu blühenden Land-
schaften. Aber ich muß Sie warnen: Es wird
anstrengend - wir haben keine Zeit zum Ver-
weilen. Ein sehr weiter Weg liegt vor uns. Wir
kommen aus dunkler Vorzeit, uns faßbar nur
in imaginierten Bildern, zu denen freilich
nüchterne Wissenschaftler das Rohmaterial
liefern. Unser Ziel ist die, oder besser eine
virtuelle Realität. Vielleicht laufen wir im Krei-
se?! Was macht's? Hauptsache, es geht vor-
wärts.

Real stolpern wir im Tagebaurestloch herum
- virtual reisen wir vom Jura zum Jurassic-Park,
oder doch wenigstens vom Eozän bis zum
Aufschwung Ost.

Doch nun ernsthaft, denn wir sind ja nicht
zum Spaß hier!

Das Thema des Kolloquiums stellt ironisch-
provokativ eine Antinomie auf, die aber in
der gängigen apologetischen Rhetorik zum
Thema ernsthaft behauptet wird: Es gäbe
reale Realitäten und daneben neuerdings die
vielen bunten „virtuellen Welten". Und mit
den schönen neuen, harten und soften Instru-
menten könnten wir sie uns erschließen; so
als wäre es uns endlich gelungen, mit dem
Kopf durch Wände zu gehen, hinter die wir
bis jetzt nie einen Blick werfen konnten...

Welch eine Beziehung besteht tatsächlich
zwischen Realem und Virtualem, zwischen
der Faktizität des Realen und der Potentialität
des Virtualen? Oder zwischen der (produzier-
ten) Faktizität des Virtualen und der (imma-
nenten) Potentialität des Realen? Treiben wir
die Fragerei noch etwas weiter: Ist Geschich-
te real odervirtual? Offensichtlich wird ja Ge-
schichte immer wieder retrospektiv neu pro-
duziert (wir erleben es gerade...); also scheint
vergangene (vermeintliche) Realität eigent-
lich ein Fundus von Virtualitäten, im Sinne
von ,immanenten Möglichkeiten' zu sein?
Verwirrend?

Am Phänomen und dem Begriff der ,Land-
schaft' möchte ich versuchen, diesen Fragen
nachzugehen. Bevor wir uns jedoch an einen
konkreten landschaftlichen Ort begeben - in
das Geiseltal - müssen wir noch etwas Mühe
an die Begriffe verwenden.

Das Virtuelle, die Virtualität gehen auf das
lateinische ,virtus' zurück - deutsch: männli-
che Kraft, Potenz, also etwas potentielles -
eine Kraft, die potentiell etwas bewirken, rea-
lisieren kann. Der wesentliche Sinngehalt ist
demnach die immanente Möglichkeit, etwas
Realität werden zu lassen. Die ,virtual reality',
die virtuelle Realität ist zunächst ein Wider-
spruch in sich: Etwas kann nicht zugleich real
und potentiell existent sein. Deshalb neigt
man dazu, stattdessen Formulierungen wie
virtuelle Räume oder Umgebungen zu benut-
zen. Damit wird ein fragmentarischer und
modellhafter Charakter betont. Im allgemei-
nen Sprachgebrauch scheint jedoch die Nei-
gung vorhanden zu sein, jede computer-
generierte Struktur als virtuell zu bezeichnen.
,Virtuelle Realitäten' wären somit Imagina-
tionen, die mittels Computer erzeugt werden.
Und hier herrscht eine Euphorie der unbe-
grenzten Möglichkeiten.

Zum Begriff der Landschaft.

Ethymologisch aus dem Althochdeutschen
stammend, bezeichnet das Wort zwar zu-
nächst einen territorial-räumlichen Komplex.
Jedoch macht es Sinn, ihn darüberhinaus als
Bezeichnung für eine Reflexion, ein Bild, eine
Vorstellung davon zu verstehen. Alle sprach-
lichen Belege zur Verwendung dieses Begriffs
deuten darauf hin, daß ,Landschaft' als eine
wahrgenommene und als Lebensraum nicht

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