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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Bürdek, Bernhard E.: Über Jäger und Sammler in der virtuellen Welt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0025

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Bernhard E. Bürdek

Über Jäger und Sammler in der
virtuellen Welt

Nach rund einem Jahr Erfahrungen als „Sur-
fer im Netz" - also einem intensiven Internet-
User - und damit virtuellem Reisenden - ist
dies heute eine gute Gelegenheit, einmal et-
was Rückschau zu halten, darüber zu berich-
ten was ich erlebt habe und einen Ausblick
zu wagen, was sich durch die „Virtualität" in
Zukunft verändern wird - oder vielleicht auch
nicht.

Das Thema "online" ist ja seit dem Frühjahr
dieses Jahres ziemlich "hype", die Wochen-
zeitung "Die Zeit" widmete ihm über viele
Ausgaben hinweg regelmäßig eine ganze
Seite, und man konnte auch fast kein Maga-
zin mehr aufschlagen, um nicht sofort in ir-
gendeine „Cyberwelt" eingewoben zu wer-
den. Selbst die Designzeitschriften haben
jetzt das Thema entdeckt, wie z.B. der „De-
sign-Report" in seiner Ausgabe 7/8-1995 und
die „form" in ihrer Ausgabe 151-111-1995.

Eine erste Ernüchterung: man schätzt, daß in
Deutschland momentan nur rund 100 000 Per-
sonen "online" sind, das bedeutet, von 80
Mio. Bundesbürgern entspricht dies genau
0,0125%. Ich denke, dieseZahl istwichtig, um
die Relation einmal zu benennen, über die
wir hier eigentlich reden.

Zu diesen 100 000 gehören sicherlich et-
liche Zehntausende Studenten, für die der
"account" ja in der Regel gratis, oder wie an
der Uni Frankfurt - gerade einmal DM 20.-
pro Semester kostet. Aber schon die privaten
Telefongebühren (wenn man sich praktisch-
werweise von zuhause via Modem „einlockt")
können schnell ein paar Hundert Mark pro
Monat ausmachen (ich spreche dabei wirk-
lich aus Erfahrung), so daß ich gelegentlich
das Internet schon für eine Erfindung der
Telekom halte.

Aber so ist das natürlich nicht, oder doch ?
Schauen Sie einmal auf die momentan pla-
zierte Werbung der Telekom, dann verstehen
Sie, warum man dort die "online-Dienste" so

forciert, die Gebührenkasse klingelt nämlich
an zwei Stellen:

-zum einen eben bei der Telekom selbst
(also durch die Gebühren für die Leitungs-
benutzung)

- zum andern bei den privaten Service-
Providern (Gebühren für die jeweiligen Infor-
mationen, die man abruft)

Dies sind die kommerziellen Dienste-Anbie-
ter wie z.B.:

-CompuServe (mit weltweit ca. 3 200 000
Anwendern)

- America Online (mit weltweit ca. 3 000 000
Anwendern, hierwird sich der Bertelsmann-
Konzern demnächst einkaufen)

- Prodigy (mit ca. 1 600 000 Anwendern in
den USA)

- das geplante Europe Online (federführend
ist dabei derBurda-Konzern, der als einer der
Vorreiter in diesem Bereich gilt).

Da will natürlich Bill Gates auch mit dabei
sein, und mit seinem „Microsoft Network"
von Windows '95 aus direkt „anklickbar", die
Endbenutzer noch weiter an sein Unterneh-
men binden - und damit natürlich kassieren.

Denn darum geht es ja im Kern: die Informa-
tionen, die bisher mehr oder weniger „gra-
tis" verfügbar waren, z.B. in den öffentlichen
Bibliotheken, sollen in Zukunft bezahlt wer-
den, dies ist also die eigentliche Wahrheit der
„Informationsgesellschaft".

Ein neuer Machtfaktor stellt sich somit her-
aus: über Informationen zu verfügen oder
nicht - das wird „das Paradigma" des elek-
tronischen Zeitalters. Michael-A. Konitzer 1
spricht in diesem Zusammenhang bereits von
der „Informationsverelendung", d.h. es stün-
de zu befürchten, daß es zu einer „Teilung
der Mediengesellschaft" kommen wird. Das
Informationsdefizit würde auch zu einem
Chancendefizit. Bei der Eröffnung der dies-
jährigen Telecom-Messe 95 in Genf hat Nel-
son Mandela schon von einer neuen „Zwei-
klassengesellschaft" in der Welt gesprochen,
die „Dritte Welt" würde geradezu systema-
tisch ausgegrenzt 2.

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