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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Schönhammer, Rainer: Wahrnehmung und Bewegung im Cyberspace
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0191

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Rainer Schönhammer

Wahrnehmung und Bewegung
im Cyberspace

i.

Es solI die Rede sein davon, wie Menschen
sich wahrnehmend und handelnd in den ver-
mittels Datenhelm und Datenhandschuh er-
zeugten Scheinräumen wiederfinden. Dieser
Befindlichkeit will ich mich nacherzählend
und interpretierend nähern.

Der Aufforderungscharakter des Themas "Vir-
tuelle Realität" weist, wie es scheint, in eine
andere Richtung. Nicht wenige derer, die über
Cyberspace sprechen und schreiben, springen
nach knappen technischen Hinweisen direkt
zur Erörterungen von Sein und Nichtsein.
Solches Philosophieren gerät naturgemäß zu
einer Gedankenbewegung ohne festen Halt.
Der Versuch, aus dem Spiel mit den Begrif-
fen wie "Realität" und "Traum" ein Urteil
über das Dispositiv "Virtuelle Realität" zu
destillieren, mündet - jenseits der so neben-
bei zu leistenden philosophiegeschichtlichen
Fleißaufgabe - nicht zufällig oft in Wortspie-
len.

Neben Begriffs-Akrobatik drängt der Cyber-
space nicht wenige zu Zukunftsvisionen. Je
nach Beruf und Berufung fallen die licht oder
düster aus. Von Erfahrung ist da, so oder so,
nur im Konjunktiv die Rede. Man malt sich
etwa Bilder von entkörperten, in Nährflüssig-
keit schwimmenden Hirnen aus, die direkt an
einen Megacomputer angeschlossen sind und
fragt, ob denn das vernetzte Hirn noch mer-
ken könne, daß es am Kabel hänge. Oder so
ähnlich.

"Virtuelle Realität" ist also Anlaß und Vor-
wand für viel sehr Grundsätzliches und man-
ches Bodenlose. Lassen wir das auf sich beru-
hen und sehen wir zu, was sich über die Be-
findlichkeit im Cyberspace ermitteln läßt.

Einer, der sich der Situation ausgesetzt hat,
spricht von einer eigentümlich verstörenden
Erfahrung, die er nicht recht in Worte zu fas-
sen vermag: "Bei der Simulation gerate ich

(...) in die seltsame Situation, an mir selbst zu
empfinden, daß die vorgestellte Realität zwar
psychisch eine ist, aber daß ich gleichzeitig
in die Reaktionsform gebracht werde, dar-
über zu lachen." Nach einem zweiten Anlauf,
den Zwiespalt zu bestimmen - u.a. ist von
Riesenbahnen, d.h. Achterbahnen, die Rede,
bekennt dieser Gewährsmann, Heinrich Klotz
vom Zentrum für Kunst- und Medientech-
nologien in Karlsruhe: "Aber darüber habe
ich noch nicht genügend nachgedacht."
(Klotz, 1991, S. 366f)

Die Bekundung der Ratlosigkeit angesichts
des in der virtuellen Realität Erlebten, mag
uns als Rechtfertigung dienen, vor einem
Selbstversuch über die Reiseberichte anderer
nachzusinnen.

II.

Neben Reiseberichten im engeren Sinn, also
Auskünften von Personen über ihre Befind-
lichkeit im Cyberspace, werden uns auch Be-
obachtungen aus der Außenperspektive hel-
fen zu verstehen, wie es den Subjekten bei
der Simulation ergeht. Solche "objektive Da-
ten" können gerade angesichts der Schwie-
rigkeit, das Erlebte zu verbalisieren, wesent-
liche Hinweise geben.

Systematische Untersuchungen der Situ-
iertheit des Subjekts in virtueller Realität sind
so gut wie nicht vorhanden. Diejenigen, die
mit der Konstruktion von Hard- und Software
befaßt sind, demonstrieren auf ihren Dis-
kussionsforen zwar Einigkeit darüber, daß es
gelte, Präsenz in der virtuellen Realität
operational zu definieren, d.h. meßbar zu
machen (z.B. Held & Durlach, 1992; Sheri-
dan,1992), aber kommen für ihre Praxis
scheinbar ganz gut ohne ein Meßverfahren
aus. Sie bauen bei ihren Bemühungen offen-
bar auf Erfahrungswerte, von denen eher
zufällig, anekdotisch, in ihren Veröffentli-
chungen die Rede ist. Das dürfte einen
wissenschaftssoziologischen bzw. -histori-
schen Grund haben: Meßbarkeit ist ein aner-
kanntes Desideratum, wenn die Messung des
Grades von Präsenz im virtuellen Raum sich
für die praktische Arbeit auch als wenig
fruchtbare Abstraktion darstellen mag;
phänomenomenologische Befunde, also Hin-
weise darauf, wie es den Subjekten tatsäch-
lich ergeht, gelten aber-zumal in diesem Be-

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