Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

DOI article:
Sturm, Hermann: Magie & Logos - Augenräume
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0201

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Hermann Sturm

Magie & Logos - Augenräume

Virtualität und Realität oder Virtualität
contra Realität lautet das Thema dieses Kol-
loquiums, als sei das eine der Revers des an-
deren. Ich will einen weiteren Revers - wie
angekündigt - hinzufügen und - wenn die
Metapher erlaubt ist - diese doppelgesichti-
ge Münze in dem Kontext betrachten, in dem
sie gehandelt wird: in Augenräumen.

Das Bild, die Metapher der doppelgesichti-
gen Münze ist deshalb brauchbar, weil die
eine Seite ohne die andere nicht zu haben
ist, ihr Wert resultiert also weder aus demText
oder Bild der einen, noch dem der anderen
Seite, sondern ihr Wert liegt im Handeln , im
Umgang mit ihr. Dabei können Text und/
oder Bild der einen oder der anderen Seite,
oder beider Seiten den Wert erhöhen oder
mindern, doch aber zumindest kann die
Kenntnis der Einträge oder der Prägungen
klärend dem Handeln zugute kommen.

Magie & Logos, diese beiden Begriffe ent-
nehme ich einem kunstwissenschaftlichen
Kontext, den Aby Warburg bereits zu Beginn
dieses Jahrhunderts umrissen und als unauf-
lösliches Spannungsfeld beschrieben hat. Mit
Magie und Logos ist ein Feld angesprochen,
das in seiner dialektischen Spannung Gestal-
tung überhaupt sowohl auf der Seite der
Hervorbringung ästhetischer Objekte, wie auf
der Seite ihrer Rezeption, ihrer Wahrneh-
mung und ihres Gebrauchs nicht erst heute,
aber heute besonders und zentral betrifft.

Logik - so hatte es Aby Warbrug gefasst -
schaffe den Denkraum zwischen Mensch
und Objekt, durch begriffIich sondernde Be-
zeichnung, und Magie zerstöre diesen Denk-
raum durch ideele oder praktische Verknüp-
fung von Mensch und Objekt wieder.

Die dialektische Verflechtung von Magie und
Logos, (von dem, die eigenen Empfindun-
gen in die Objekte projizierenden Raum, dem

empfindungsgeladenem Projektions-

raum, und dem auf Besonnenheit und Di-
stanz ausgerichteten Denkraum) dient hier
als strukturelle Basis meiner Überlegungen.

Mit Augen-Räumen bezeichne ich em
schränkend das Handlungsfeld, in dem sich
die hier zur Rede stehenden Prozesse vollzie-
hen.

Nun zunächst zwei weitere Bemerkungen zu
Magie & Logos, hernach eine These, die sich
zum gestellten Thema VIRTUALITÄT versus
REALITÄT verhält.

Magie ist auf Distanzlosigkeit zwischen Ma-
gier bzw, zwischen magischem Objekt und
den Rezipienten angewiesen - im Unterschied
zum Zauberer, zum Artisten. Magie äußert
sich auf beiden Seiten im Ritual. Auch das
Ritual ist an Distanzlosigkeit gebunden. Ma-
gie und Ritual sind in der Regel mit der Prä-
senz und der Präsentation besonderer Objek-
te verbunden, denen durch besondere, ans
Materielle gebundene Erscheinungen im und
durch Rituale und Zeremonien besondere
Wirkungen zugesprochen und ihr Eintreten
geglaubt wird. Das Immaterielle, Geistige ist
also virtuell - der Möglichkeit nach - mit der
Präsenz eines Materiellen, sinnlich Erschei-
nenden, Wahrnehmbaren verbunden, eines
Materiellen, das berührt, betrachtet, gezeigt
-wenn man will - sogar geküsst werden kann.
Von der Magie der Materialität kann gespro-
chen werden. Jedermann sieht, was er zu se-
hen erwartet und was seine Interessen am
nächsten berührt. Schaffe einen Glauben, und
die Tatsachen werden von selbst eritstehen.
So zitiert der Zauberer Alexander Adrion ei-
nen Kollegen.

Magie - ich sagte es - ist auf Unausweich-
lichkeit gerichtet, auf Überwältigung, auf
gefangen Nehmen, auf irreversible Verwand-
lung. Ein Magier lacht nicht. Magie der Bil-
der bedarf des Rituals und des Kults um Wir-
kung zu zeigen. Das Magische setzt ein
ästhetisches Verhalten zum Objekt der Ma-
gie außer Kraft, die ästhetische Distanz ent-
hebt das Magische seiner Wirkung, wohl kann
das magische Objekt verzaubern.

Unzählige Beispiele wären anzuführen aus
dem Bereich der christlichen Religionen, ins-
besondere der katholischen Kirche. In Ferrara

199
 
Annotationen