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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Bürdek, Bernhard E.: Über Jäger und Sammler in der virtuellen Welt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0026

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Unter dem „ausgegrenzt sein", darunter lei-
den wir aber alle, ganz besonders natürlich
die Studierenden, wie das folgende Beispiel
eindrucksvoll zeigt. Einer meiner Studenten
hielt im SS 1995 ein Referat: „Eine Auswahl
diverser Vorkommnisse des »Virtuellen»" 3.
Besonders aufschlußreich war für mich dar-
an folgende Passage:

„Drei Jahre lang kam ich gut mit zwei 240MB-
Festplatten aus. Vor acht Monaten kaufte ich
mir eine 1 GB-Festplatte für 1800 DM. Vor
zwei Monaten nochmal eine 735 MB-Festplat-
te für ca. 560 DM. Letzte Woche nochmal 1
GB für 540 DM. Diese Woche machte mein
Fländler mir für einen Freund ein Angebot
über eine 4,35 GB-Platte für ca. 1700 DM. Der
aufmerksame Leser wird nicht nur bemerkt
haben, daß ich tausende von Mark in Geräte
stecke, mit denen ich die Geräte zu überwin-
den versuche, so daß ich unverblümt auch
noch damit angeben tu', sondern auch den
grandiosen Preisverfall an diesen".

Sein Datenhunger ist wahrlich immens, ist er
doch bereits seit 1992 bei "CompuServe" (das
ja auch Geld kostet), jetzt auch im "Internet"
(denn dort kann man sich immer noch alles
"kostenlos downloaden"), aber dafür braucht

man eben Speicher, Speicher, Speicher .

Aber es wird ja schon eifrig am „e-money",
dem digitalen Geld gebastelt, denn letztlich
gibt doch niemand seine Informationen ko-
stenlos ins Netz. Die Zeiten der eingeschwo-
renen Internet-Community (also die Nutzung
durch Wissenschaftler) ist vorbei, der explo-
sionsartige Zuwachs an „accounts" muß sich
doch auch kommerziell nutzen lassen.

Die „Content-Provider" (früher nannte man
diese z.B. „Verleger") sind deshalb auch schon
beim „Jagen und Sammeln": jüngst hatte
Burda bei mir per e-mail angefragt, ob wir
nicht Informationen über Veranstaltungen an
der Flochschule, Studienprojekte, Diplomar-
beiten etc. zur Verfügung stellen wollen. Si-
cherlich gratis, damit man in der Rubrik „Leh-
re und Forschung" oder „Flochschulen" bei
Europe online auch etwas findet, das Abru-
fen muß man dann natürlich bezahlen!

Zwei Tage vor dem Abgabetermin der Refe-
rate für mein gerade erwähntes Seminar "De-
sign-Methodologie" im SS 1995 schickte mir

ein Student eine „e-mail", mit der Bitte, doch
einmal kurz über sein "Referat" zu schauen,
ich würde es im Internet unter folgender
Adresse finden:

h tt p :\\www. rz.uni-frankfurt.d e/hf g/wo 11 i n/
startpnt/htm.

Ja, muß man sich denn das jetzt antun, wer-
den Sie vielleicht fragen? Aber natürlich,
denn wenn man schon ein Seminar über
"Multimediale Technologien" durchführt und
über die „elektronische Gegenwart und Zu-
kunft" referiert, dann muß man eben damit
rechnen, daß die Anworten „virtuell" zurück-
kommen. Und so sitze ich am Abend auch
noch vor dem Computer und „lese" die „vir-
tuellen" Referate der Studenten. Soll dies
etwa jetzt die vielbeschworene "virtuelle Rea-
lität" sein?

Zu einigen Aspekten möchte ich nunmehr et-
was detaillierter eingehen, einige Thesen
dabei sind:

1. die anthropologische Entwicklung steht in
deutlichem Kontrast zur technologischen

2. die neuen Technologien entfalten eine bis-
her nicht gekannte Eigendynamik

3. neue Verhaltensweisen prägen unseren All-
tag

4. die Individualisierung wird durch die neu-
en Medien und Technologien rasant zuneh-
men

5. auch im Design zeichnen sich bereits heu-
te gravierende Veränderungen hinsichtlich
der Arbeitsweisen und Themen ab

6. die neuen Medien führen indes kaum zu
neuen Erkenntnissen

These 1:

Die Diskrepanz zwischen Mensch und Tech-
nik wird größer

Seit einigen Jahren mehren sich die Stimmen,
die darauf hinweisen, daß mit der Compu-
tertechnologie schwerwiegende Mißachtun-
gen menschlichen Verhaltens einhergehen.
Die von Donald A. Norman 4 beschriebene

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