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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Groh, Rainer: Wie wird Zeit zum Bild?
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0065

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Rainer Groh

Wie wird Zeit zum Bild?

Das Thema ist nicht neu als Forschungsge-
genstand in Kunst- und Designtheorie. Es
wird daher der Versuch unternommen, der
Frage mit Blick auf interaktive technische und
kommunikative Systeme nachzugehen. Ziel
des Vortrages ist es, einen Ansatz zur Klassi-
fikation von Prozeß-Bildern, die in diesen
Systemen Anwendung finden, vorzustellen.
Kurz: Es geht um eine syntaktisch und damit
auch semiotisch orientierte Repertoirebe-
trachtung im Bereich der Prozeß-Bilder. Be-
vor es zu entsprechenden Aussagen kommt,
muß (im Anschluß an einleitende Ausführun-
gen zum Zeitbegriff in der Gestaltung) eine
funktionelle Analyse der Interaktion von
Mensch und technischem System erfolgen,
denn diese Prozesse sind es ja, welche „Zeit
binden" und die zum Bild werden müssen.
Für den letztgenannten Sachverhalt wird im
Folgenden der Begriff „Prozeß-Bild" verwen-
det. Ein begriffiiche Präzisierung erfolgt ge-
gen Ende des vorliegenden Aufsatzes.

Angemerkt werden muß, daß die hier vorge-
stellten Gedanken vorerst Fragmente einer
geschlosseneren Darstellung sind, die in
Folgeschritten zu leisten sein wird. Es soll in
erster Linie zu einer Diskussion zur Systema-
tik und Methodik der Gestaltung interakti-
ver Systeme Anregung gegeben werden.

Ist von Zeit die Rede, wird auch von Verän-
derungen, Prozessen und Sukzessionen ge-
sprochen. Nur vermittels dieser Begriffe kann
aus der Sicht der Gestaltung über Zeit gespro-
chen werden, wird Zeittheoretisch und prak-
tisch handhabbar.

Prozesse sind das Anzeichen dafür, daß Zeit
vergeht oder daß Zeit vergangen ist. Durch
ihr Prozeß-Bild, bzw. durch ihre Prozeß-Ge-
stalt machen sie die Zeit wahrnehmbar, wenn
auch in übersetzter Form. Verändern kann
sich alles: Gegenstände wie Rezipienten. Auch
Konstanz ist relative Veränderung. Das dia-
lektische und dynamische Verhältnis der zwei
Variablen Gegenstand und Mensch ist Aus-

gangspunkt aller Möglichkeiten, um der Zeit
und ihren Bildern, d. h. ihren Erscheinungs-
formen nachzuspüren.

Einige Beispiele sollen i11 ustrieren, wie weit
das Feld bereits im traditionellen Sinne reicht:

Man spricht von Prozeßgestaltung
und meint das Gestalten technologischer oder
logistischer Systeme mit ihrer in Grenzen va-
riablen und adaptiven bzw. adaptierbaren
Gestalt.

Mit dem Narrativen im Werk ist des-
sen Iiterarischer Stoff gemeint und der will
„erzählt" sein; will „gelesen" sein. Und das
braucht Zeit, so simultan das Tafelbild dem
in Kontemplation Versunkenen auch entge-
gentritt.

Auch der Entwurf selbst ist Prozeß.
Methodische Ablaufpläne gliedern ihn in zeit-
lich gestaffelte Phasen.

Beinahe trivial mutet der Hinweis auf
Zeit an, wenn an das auf Durchschreiten (oder
-rollen) beruhende Architekturerlebnis erin-
nert wird.

Doch selbst die klassischen Künste, die die an
sich statischen TafelbiIder oder Skulpturen
produzieren, operieren mit der Zeit, wenn
auch nicht offensiv: Natürlich will man Über-
zeitliches zeugen, rechnet man mit einer end-
los langen kulturellen Aneignungszeit, und
daß der Geneigte seine 7 Sekunden (Echt-)
Zeit braucht, um das Werk zu umwandern,
um sich alle Facetten mit wechselndem Be-
trachterstandpunkt zu erschließen, spielt si-
cher auch eine Rolle.

Was nun die Beispiele verbindet, ist die Tat-
sache, daß die Sukzession im Wahrnehmen,
Nutzen oder Aneignen nicht vordergründig
„gestaltet" wird, das heißt ihre Quantifizie-
rung ist wenig planvoll; sie steht nicht im
Mittelpunkt der gestalterischen Bemühun-
gen. Die Offenheit gegenüber allen „Zeit-
problemen" ist mituntersogar Bedingung der
Rezeption oder des Gebrauchs. Ausnahmen
bilden in bestimmten Aspekten Film und
Musik.

Doch alle Beispiele zeichnen sich durch feh-
lende Interaktion aus in dem Sinne, daß die

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