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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Jonas, Wolfgang: De-Materialisierung durch Körperorientierung - ein Gedankenexperiment
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0076

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dende Todesfurcht geschieht dies dadurch,
daß der Tod in die Ordnung des Menschen
integriert wird. Die zivilisatorischen Konstruk-
tionen zur Abwehr oder wenigstens Domesti-
zierung des Todes sind bekannt: Magie, My-
thos, Religion, später Technik, Wissenschaft
und Kapitalismus (WEBER). Die Menschen
schufen sich gedankliche und materielle Ob-
jekte, um ihre individuellen und kollektiven
Wünsche und Ängste darauf zu projizieren
und so handhabbar zu machen. Bereits der
rituelle Kannibalismus ist eine komplexe Kon-
struktion zur Überwindung der Todesfurcht.
Man schützte sich vor den Toten, man konn-
te ihre Kräfte aufnehmen und man gab ih-
nen noch dazu ein „ehrenvolles" Grab, das
ihnen das Weiterleben garantierte. Gebete,
Opfer, Riten, Normen bilden die „sakrale Ma-
schine". Die magisch-mythischen, im Bewußt-
sein und im Sozialen verankerten Erklärungen
für die rätselhafte Welt erreichen einen Hö-
hepunkt in der „sakralen Universalmaschine"
des einen, wohltätigen und strafenden christ-
lichen Gottes (KRIEG).

Altar: Sakrale Universalmaschine

Was dann folgt, sind die realen Maschinen,
das Zurichten der Welt, das „Zeitalter der
Versachlichung". Die „Entdeckung der Ar-
beit" als etwas den Menschen körperlich und
geistig vervollkommnendes (im 6.Jh. durch
den Benediktinerorden), begründet eine
neue, sehr folgenreiche Form der Projektion.
Die Modelle für unsere inneren Konflikte,
früher als religiöse Systeme dargestellt, wer-
den jetzt durch Technik und Wissenschaft
entwickelt. Die „profane Maschine" - im Ge-

gensatz zur „sakralen Maschine" - verrichtet
nützliche Arbeit im Sinne der Befriedigung
von Bedürfnissen, die wir rational nennen.
Die profane Maschine kann exakt auf den
Zweck der Projektion hin konstruiert werden.
Sie kann Wünsche erfüllen und Ängste verrin-
gem.

Angstmaschinen, Wunschmaschinen

Der „sachliche" Mensch der Moderne ent-
steht. Er schafft sich mächtige äußere Ord-
nungssysteme: Die Fabrikdisziplin, die Staats-
maschine, den kollektiven Körper der Volks-
gemeinschaft. Auch der menschliche Körper
ist in dieser Entwicklung der Objektwelt zu-
geschlagen worden. Man beginnt, ihn zu zer-
legen, um seine Maschinenhaftigkeit zu er-
weisen. Die profane Maschine Mensch wird
zur Mühle, zum Uhrwerk, zur Dampfmaschi-
ne, zum Computer, ... .

Der Schreiber (JAQUET-DROZ, 2)

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