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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Kolbe, Peter: Das Bindungsmodell virtueller Gegenständlichkeit - ein Beitrag zur Gestaltung von virtuellen 3D-Szenarien und Interaktionsräumen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0109

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leitet die Designtheorie ihre Produktzen-
trierung und die produktsprachlichen Grund-
lagen gestalterischer Tätigkeit ab.

Sowohl bei der Entwicklung dieser Mittel ais
auch innerhalb der Qualifizierung von diffe-
renzierten Gebrauchshandlungen erreichte
der Mensch eine außerordentlich hohe Effi-
zienz. Wie konnte der Mensch eine derartig
hohe Handlungseffizienz erreichen?

Zur Beantwortung dieser Frage sind Modell-
annahmen über die geistigen Leistungen des
Menschen erforderlich. Unter Zuhilfenahme
eines Denkmodells auf der Grundlage von
mentalen Begriffs- und Merkmalsbildungen
- ein Ansatz der nicht unumstritten ist - muß
die Effizienz des menschlichen Handelns an
spezifische Begriffs- und Merkmalsbildungen
gebunden sein.

In Hinblick auf die Produktzentrierung de-
signrelevanter Tätigkeit wurde deshalb von
Fischer ein 'Objektbegriff' mit drei konstitu-
ierenden Merkmalsklassen spezifiziert und
diese Merkmalsklassen im Weiteren an spe-
zifische Phasen innerhalb der Ausführung von
Handlungen (mit gegenständlichen 'Objek-
ten') gebunden: Der Zielbestimmung einer
Handlung wurden funktionale Merkmale zu-
geordnet, der Orientierung im 'Such-raum'
von Problemlösungen perzeptive Merkmale
und der Steuerung von Handlungsausfüh-
rungen schließlich operationale Merkmale.
Nimmt man an, daß diese Merkmale durch
'korrespondierende' Eigenschaften realer
Gegenstände ausgeprägt wurden, dann sind
es gerade diese qualitativ unterschiedlichen
Eigenschaftsklassen, nach denen wir an den
Gegenständen und Produkten suchen, um
unser Handeln effizient zu gestalten und zu
organisieren. Handlungseffizienz ist dann
aber an die Existenz dieser Eigenschafts-
klassen gebunden!

In Übertragung auf den Gebrauch virtueller
Objekte ist folglich das Vorhandensein von
funktionalen, phänomenalen und opera-
tionalen Modelleigenschaften und deren vir-
tuell-gegenständliche Bindung im Objekt-
modell eine notwendige Voraussetzung für
das Erreichen einer gleichwertigen Hand-
lungseffizienz in virtuellen Umgebungen.
Hier unterscheidet sich die Qualität gegen-
wärtiger interaktiver 'Benutzungsober-
flächen' von den realen Handlungsräumen
wesentlich. Vor allem die Qualität der phä-
nomenalen und operationalen Potentiale der

virtueller Werkzeuge ('Menue-Etikette' und
'Doppelklick') weisen eine drastische 'Verar-
mung' gegenüber der Realität auf!

Mit der Verarmung der phänomenalen Eigen-
schaften der virtuellen Werkzeuge sind aber
die Orientierungsprozesse innerhalb von
(Gebrauchs-)Handlung empfindlich gestört:
die Kodierung von Funktionalität erfolgt
über die Zeilen- und Spaltenzahl des ent-
sprechenden Menuefeldes und nicht über die
Phänomenalität der Werkzeuggestalt. Glei-
ches gilt in Analogie für die Ausprägung
operativer Merkmale: Unterschiedliche Funk-
tionalität wird nicht mehr differenziert erlebt,
da die operativen Werkzeugeigenschaften
hochgradig uniform sind.

Hierauf zielt das 'Bindungsmodell virtueller
Gegenständlichkeit' mit der formalen Über-
tragung der konstituierenden Merkmals-
klassen des Objektbegriffs auf die korrespon-
dierenden Eigenschaftsklassen des virtuellen
Objektmodells. Auf diese Eigenschafts- bzw.
Modellklassen und ihre wechselseitigen 'Bin-
dungen' sind die spezifischen Editoren aus-
gerichtet und hieraus werden die Vorteile
eines derartigen Bindungsmodells sowohl für
die Synthese einer virtuellen Welt als auch für
die Gestaltung virtuell gegenständlicher
Interaktionsräume abgeleitet.

Erst damit gewinnt der Produktdesigner sei-
nen spezifischen Arbeitsgegenstand zurück,
nämlich das (virtuelle) Produkt mit einer be-
stimmten Funktionalität und einem phäno-
menalen Potential, das er für die produkt-
sprachliche Kodierung der Funktionalität nut-
zen kann sowie einer Operationalität, mit der
er einen effizienten Gebrauch realisieren
kann. Insofern ist innovatives Interfacedesign
eher 'Produktdesign' als 'Grafikdesign'!

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