mlschr Nunst.
^llustrirte Zeitschrift für das gesanrmte deutsche Kunstschaffen.
Zentral-Grgan deutscher Kunst- und Künstler-Vereine.
preis vierteljährlich 2.88 Mark.
Postzeitungsliste Nr. 1174.
Herausgegeben von
Georg MalkowMn.
Schrifkleikung und Verwaltung Berlin ^V.87, Sieinmehstr. 26.
Ur. 5.
1. Dezember 189?.
II. Jahrgang.
Mch-
Braunschweig. Der Löwe
Heinrichs des Löwen.
Braunschweig, die Stadt üeinrich's des Löwen.
Nicht immer
lagern sich die
Kulturerschei-
nungen der ver-
schiedenen Zeiten
schichtweise über
die der Vergan-
genheit, sie ver-
wischend und
überdeckend, bis-
weilen schmiegen
sie sich wie Jah-
resringe in ein-
ander und um-
hüllen schonend
den alten Kern.
Die Bauwerke
einer Stadt sind
die zu Stein ge-
wordene Ge-
schichte des Ge-
meinwesens. So
hat in Braun-
schweig jedekul-
tur Epoche ihre
Stilformen we-
niger geschlossen
abgelagert, als
Stadt, der eherne Löwe. Daß er von dem großen Welsen-
herzog errichtet worden, unterliegt keinein Zweifel, über Ur-
sprung und Bestimmung dieses merkwürdigen Denkmals aber gehen
die Meinungen weit auseinander. Betrachtete man das Wappen-
thier früher als ein Beutestück aus dem Grient, so beweist eine
genauere Untersuchung seiner streng stilisirten formen, daß wir
es höchstwahrscheinlich mit einem Erzeugnis niedersächsischen
Kunstfleißes aus einer Zeit zu thun haben, die uns nur wenige
Denkmale hinterlassen hat. Die romanisch beeinflußten Formen
lassen den Glauben an einen orientalischen Ursprung verzeihlich
erscheinen. Daß sich die Legenden-Bildung dieses geheimnis-
vollen Wahrzeichens bemächtigte, ist natürlich, wie sich denn
noch heute das Volk seine Ueberzeugung nicht rauben läst,
der grose Welfe habe hier seinem aus der Sage bekannten,
treuen Löwen ein Crinnerungsmal setzen wollen. Nach den
mittelalterlichen Geschichtsschreibern sollte der Löwe den Feinden
des Herzogs ein Zeichen sein, das er seinen Beinamen nicht
umsonst führe. Solche ehernen pronunziamenti liegen jedoch
so wenig im Geiste der Zeit, das wir uns schon eine
nüchternere Erklärung suchen müssen. Wahrscheinlich bedeutete
dieser Lauenstein, wie ihn der Chronist Botho nennt, für
Braunschweig dasselbe, was die Rolandssäule für andere
Städte war. Er bezeichnete den „Königsbann", d. h. die
Stätte der obersten Gerichtsbarkeit des Lanöesherrn. Spätere
Fürsten scheinen den Löwen weniger ernst genommen zu haben,
sie belustigten sich damit, von den Fenstern der Burg aus
kleine Münzen in seinen Rachen zu werfen; was daneben fiel,
gehörte dem armen Volk. Die verschiedenen Zeitläufe aber ''ber-
ste in kecker Laune mit denen ihrer Vorgängerin gemischt.
Die Geschichte der Stadt im frühen und späteren Mittel-
alter verkörpert sich in den Denkmälern des Burgplatzes und
des Altmarktes.
dauerte die Liebe der Braunschweiger zu dem uralten Wahr-
zeichen ihrer Stadt, und als die Franzosen im Jahre 1807 den
ehernen Löwen mit vielen anderen Kunstschätzen nach Paris
entführen wollten, wäre es beinahe zu einem Volksaufstande
Die Burg Dankwarderode selbst ist allerdings nur
eine stilvolle Restauration, die erst unter der Aegide des Prinz-
Regenten Albrecht vollendet wurde. Aus einer Anzahl von An-,
Ein- und Vorbauten im Renaissance-, Barock- und Zopfstil
wurden zunächst die spärlichen Reste des Saalbaues Heinrich's
des Löwen herausgeschält, eine Arkade aus massiven Pfeilern
mit romanischen Ecksäulen, Reste von dreitheiligen Fenster-
gruppen mit schönen Säulen aus Kalksinter und zwei große
rundbogige Fensteröffnungen. Das Ganze wurde dann im
Stile der Zeit mit leinen engen Kemenaten und der zwei-
geschossigen, durch einen Thurm ausgezeichneten Vurgkapelle
ergänzt. Der verdeckte Gang über den Arkaden bildet die
Verbindung mit dem Dom.
Vor der Burg erhebt sich das uralte Wahrzeichen der
gekommen. Napoleon der Erste begnügte sich mit der Erklärung,
das Haus Braunschweig habe aufgehört zu regieren, gönnte
den Braunschweigern ihren Löwen und machte die Stadt zum
Hauptort des zum Königreiche Westphalen gehörigen Ocker-
Departements.
Die monumentalen Wahrzeichen der Blüthe Braunschweigs
als Hansastadt finden sich auf dem Altmarkte.
In der Mitte des Platzes erhebt sich eines der merk-
würdigsten Denkmale des Mittelalters, der Stadtbrunnen, etwa
um 1408 errichtet. Er besteht aus einem massiven, mit Sockel
und krönenden Gliedern versehenen Pfeiler, der die untere
Schale trägt, und einer aus dieser Schale emporstrebenden Säule,
welche die beiden oberen Becken stützt. Die Spitze endete ur-
sprünglich mit einer sogenannten Laterne. Alle drei Becken nebst
^llustrirte Zeitschrift für das gesanrmte deutsche Kunstschaffen.
Zentral-Grgan deutscher Kunst- und Künstler-Vereine.
preis vierteljährlich 2.88 Mark.
Postzeitungsliste Nr. 1174.
Herausgegeben von
Georg MalkowMn.
Schrifkleikung und Verwaltung Berlin ^V.87, Sieinmehstr. 26.
Ur. 5.
1. Dezember 189?.
II. Jahrgang.
Mch-
Braunschweig. Der Löwe
Heinrichs des Löwen.
Braunschweig, die Stadt üeinrich's des Löwen.
Nicht immer
lagern sich die
Kulturerschei-
nungen der ver-
schiedenen Zeiten
schichtweise über
die der Vergan-
genheit, sie ver-
wischend und
überdeckend, bis-
weilen schmiegen
sie sich wie Jah-
resringe in ein-
ander und um-
hüllen schonend
den alten Kern.
Die Bauwerke
einer Stadt sind
die zu Stein ge-
wordene Ge-
schichte des Ge-
meinwesens. So
hat in Braun-
schweig jedekul-
tur Epoche ihre
Stilformen we-
niger geschlossen
abgelagert, als
Stadt, der eherne Löwe. Daß er von dem großen Welsen-
herzog errichtet worden, unterliegt keinein Zweifel, über Ur-
sprung und Bestimmung dieses merkwürdigen Denkmals aber gehen
die Meinungen weit auseinander. Betrachtete man das Wappen-
thier früher als ein Beutestück aus dem Grient, so beweist eine
genauere Untersuchung seiner streng stilisirten formen, daß wir
es höchstwahrscheinlich mit einem Erzeugnis niedersächsischen
Kunstfleißes aus einer Zeit zu thun haben, die uns nur wenige
Denkmale hinterlassen hat. Die romanisch beeinflußten Formen
lassen den Glauben an einen orientalischen Ursprung verzeihlich
erscheinen. Daß sich die Legenden-Bildung dieses geheimnis-
vollen Wahrzeichens bemächtigte, ist natürlich, wie sich denn
noch heute das Volk seine Ueberzeugung nicht rauben läst,
der grose Welfe habe hier seinem aus der Sage bekannten,
treuen Löwen ein Crinnerungsmal setzen wollen. Nach den
mittelalterlichen Geschichtsschreibern sollte der Löwe den Feinden
des Herzogs ein Zeichen sein, das er seinen Beinamen nicht
umsonst führe. Solche ehernen pronunziamenti liegen jedoch
so wenig im Geiste der Zeit, das wir uns schon eine
nüchternere Erklärung suchen müssen. Wahrscheinlich bedeutete
dieser Lauenstein, wie ihn der Chronist Botho nennt, für
Braunschweig dasselbe, was die Rolandssäule für andere
Städte war. Er bezeichnete den „Königsbann", d. h. die
Stätte der obersten Gerichtsbarkeit des Lanöesherrn. Spätere
Fürsten scheinen den Löwen weniger ernst genommen zu haben,
sie belustigten sich damit, von den Fenstern der Burg aus
kleine Münzen in seinen Rachen zu werfen; was daneben fiel,
gehörte dem armen Volk. Die verschiedenen Zeitläufe aber ''ber-
ste in kecker Laune mit denen ihrer Vorgängerin gemischt.
Die Geschichte der Stadt im frühen und späteren Mittel-
alter verkörpert sich in den Denkmälern des Burgplatzes und
des Altmarktes.
dauerte die Liebe der Braunschweiger zu dem uralten Wahr-
zeichen ihrer Stadt, und als die Franzosen im Jahre 1807 den
ehernen Löwen mit vielen anderen Kunstschätzen nach Paris
entführen wollten, wäre es beinahe zu einem Volksaufstande
Die Burg Dankwarderode selbst ist allerdings nur
eine stilvolle Restauration, die erst unter der Aegide des Prinz-
Regenten Albrecht vollendet wurde. Aus einer Anzahl von An-,
Ein- und Vorbauten im Renaissance-, Barock- und Zopfstil
wurden zunächst die spärlichen Reste des Saalbaues Heinrich's
des Löwen herausgeschält, eine Arkade aus massiven Pfeilern
mit romanischen Ecksäulen, Reste von dreitheiligen Fenster-
gruppen mit schönen Säulen aus Kalksinter und zwei große
rundbogige Fensteröffnungen. Das Ganze wurde dann im
Stile der Zeit mit leinen engen Kemenaten und der zwei-
geschossigen, durch einen Thurm ausgezeichneten Vurgkapelle
ergänzt. Der verdeckte Gang über den Arkaden bildet die
Verbindung mit dem Dom.
Vor der Burg erhebt sich das uralte Wahrzeichen der
gekommen. Napoleon der Erste begnügte sich mit der Erklärung,
das Haus Braunschweig habe aufgehört zu regieren, gönnte
den Braunschweigern ihren Löwen und machte die Stadt zum
Hauptort des zum Königreiche Westphalen gehörigen Ocker-
Departements.
Die monumentalen Wahrzeichen der Blüthe Braunschweigs
als Hansastadt finden sich auf dem Altmarkte.
In der Mitte des Platzes erhebt sich eines der merk-
würdigsten Denkmale des Mittelalters, der Stadtbrunnen, etwa
um 1408 errichtet. Er besteht aus einem massiven, mit Sockel
und krönenden Gliedern versehenen Pfeiler, der die untere
Schale trägt, und einer aus dieser Schale emporstrebenden Säule,
welche die beiden oberen Becken stützt. Die Spitze endete ur-
sprünglich mit einer sogenannten Laterne. Alle drei Becken nebst