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mlschr Kunst.

Keiblatt: Has Melier.

Zllustrirte Zeitschrift fiir das gesammte deutsche Kunstschaffen.
Central-Organ deutscher Kunst- und Künstler-Vereine.
preis vierteljährlich 2.80 Mark.
Postzeitungsliste Nr. 1174.


Herausgegeben von
Georg MalkowMy.
Schrislleikung und Verwaltung Berlin 3V.57, Skeinmrhflr. 26.

Publikationsorgan des Deutschen Kunstvercins in Berlin, des Schlesischen Kunstvereins in Breslau, des Kunstvereins fiir das Grosiherzogthum Hessen in Darmstadt, des Anhaltischen Kunst-
vereins in Dessau, des württembcrgijchen Kunstvereins in Stuttgart, des Schleswig - Holsteinischen Kunstvereins in Kiel, der Kunstvereine in München, Oldenburg, Mannheim, Nürnberg, Gera,
Altenburg, Liberfeld, Barmen, Bielefeld, Görlitz, Danzig, Königsberg, Stettin u. a.

Uv. 14.

1. Mai 1898.

II. Jahrgang.

vom Dom zu Magdeburg.
Lin Beitrag zur christlichen Symbolik.
Von Hans Marshall.

L^IKn Clemens Brentano's Lhronika bezeichnet der Schreiber
Johannes das Straßburger Münster als „den Traum eines
tiefsinnigen Werkmeisters, vor dem er wohl selbst erschrecken
' würde, wenn er erwachte und ihn so fertig vor sich in
den Himmel ragen sähe; es sei denn, daß er auf sein Antlitz
niederfiele und ausricfe: Herr, dies Werk in seiner Vollkommenheit
ist nicht von mir, Du hast Dich nur meiner Hände bedient."
Mit dieser poetischen Wendung hat der gerade für den seelischen
Gehalt der Gothik besonders empfindsame Romantiker den ge-
waltigen, der Welt entrückenden Eindruck der Architektur nicht
minder schön und treffend gekennzeichnet wie Goethe, wenn er sie
„gefrorene Musik" nennt. Der eigenartige Zauber der Gothik
liegt in ihrem transcendentalen Wesen, in ihrem Cmporstreben,
ihrem vertikalen Linienfluß, in dem jede Gliederung mündet, nach
dem sich jede Gestalt streckt, jedes Ornament bildet, jedes Blatt
krümmt, wie fortgerissen von einem starken Strome. Diese Haupt-
richtung in steiler Verjüngung einem Gipfel zustrebender Linien
mit ihrer wunderbaren Höhentäuschung ist ein dauernder Ausdruck
für das Zeitbewußtsein des kirchlichen Weltalters, wie Kuno
Fischer die Zeit von Gregor VII. bis zu den Anfängen der
deutschen Reformation nennt. Cs ist der Geist der Scholastiker
und Spiritualisten, der in der Gothik Gestalt angenommen hat;
so ändert sich auch der gothische Stil analog den Wandlungen
der Scholastik. Aber nicht allein das Streben nach Höhe, der
schwindelnde Gipfelflug bis zu den Wolken verleiht der gothischen
Baukunst jenen über alles Irdische erhabenen Charakter, auch ein
merkwürdiges Streben nach Licht, das sie ganz mit göttlicher
Idee durchdringt, erhebt ihre Kirchen zu Stätten reinen himmlischen
Segens. So gleicht denn das Innere solcher Gotteshäuser mit
seinen Pfeilern und vielgliedrigen Spitzbogen, die im Kreuz-
gewölbe sich oben zusammenschließen, fast einem paradiesischen
Palmenhaine. Jeder Stein sollte harmonisch mittönen in dieser
stummen Symphonie der Weihe und Andacht; wie jeder sich
organisch in das Ganze fügte, sollte auch jeder für sich, würdig
der göttlichen Idee, zeugen für das Wirken einer höheren Macht.
Darum waren die alten Meister bemüht, auch den kleinsten Ge-
bilden den lebendigen Odem der Symbolik einzuhauchen, von
vornherein „der Absicht und des Zieles ihres Werkes in ub8tpncto"
sich bewußt. Die Gebilde der Gothik sind keine rein ästhetischen,
ans der naiven Anschauung hervorgegangenen Arbeiten, sondern
figurale und ornamentale Begriffsvorstellungen. Im Maßwerk,

im plastischen wie im flachen Ornament wird die Dreitheilung
des Kleeblattes zum Symbol der Dreieinigkeit; das Vierblatt
zum Sinnbild des Kreuzes, das selbst wieder den Glauben be-
deutet, der vier Cvangelien, oder der Kardinaltugenden; bedeutet
die fünfblätterige Rosette die fünf Wundmale des Herrn, während
die Siebentheilung hinweist auf die Worte Christi am kreuze.
In den Radien der Rosetten erblickt ein für religiöse Bedeutung
empfänglicher Sinn die Nägel, mit denen der Heiland ans
kreuz geschlagen wurde. Von den kanten der Thurmdächer und
Fialen wie den Schenkeln der Wimperge steigen symbolisch
Flammen, die Krabben, auf und auf der Spitze, das Ganze
bekrönend, prangt endlich das Rosenkreuz, dessen Arme zu Rosen
erblühen. Um an einem bestimmten gothischen Bauwerke der
anregenden Symbolik im Besonderen nachzugehen, ist der Magde-
burger Dom besonders geeignet, weil seine Steine von mehr als
drei Jahrhunderten redend zeugen. Sie bieten in Crmangelung
von Dokumenten wenigstens an den Thürmen durch ihre Orna-
mente und die Form der Gteinmetzzeichen, jener „Schutzmarken"
und Kennzeichen der zur Steinmetzinnung gehörigen Meister und
Gesellen, den einzigen Anhalt für die Bestimmung der Bauzeit.
Vor dem jetzigen Dome haben bereits zwei Gotteshäuser
auf der nämlichen Stätte Magdeburgs gestanden. An Stelle
des ersten, des Benediktinerklosters St. Mauritii, ließ Kaiser Otto
der Große (936—973) nach dem Tode seiner von der Dichterin
Roswitha gefeierten Gemahlin Cditha, als Stätte der letzten
Ruhe für die Verstorbene und sich, einen Dom erbauen. Das
romanische Bauwerk wurde im Jahre 963 vollendet und hat
249 Jahre gestanden. Line Feuersbrunst zerstörte es am
Charfreitage nririv 1207. Schon im folgenden Jahre aber wurde
vom Crzbischof Albert II. mit großer Feierlichkeit der Grundstein
zu einem neuen, dem jetzt noch stehenden Dome gelegt. Crzbischof
Albert war ein feingebildeter Kirchenfürst, der sich namentlich in
Frankreich die Formenkenntnis der noch jungen Gothik erworben
hatte und beim Aufstellen des Bauplanes, sowie dem Lntwerfen
des Grund- und Aufrisses gewiß nicht ohne Cinfluß gewesen ist.
Auch der Name eines Baumeisters ist uns überliefert; er hieß
Bonensack und scheint dem Laienstande angehört zu haben, aus
dem im 12. Jahrhundert schon häufig tüchtige Baumeister hervor-
gingen, bis sich schließlich im 13. Jahrhundert die Laien von
ihren Lehrmeistern den Geistlichen, in deren Händen die Kirchen-
baukunst bisher fast ausschließlich gelegen hatte, lossagten und
 
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