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mtschr Kunst.

Keiblatt: Has Atelier.

Zllustrirte Zeitschrift fiir das gesammte deutsche Kunstschaffen
Lentral-Drgan deutscher Kunst- und Künstler Mereine.

Alle 14 Tage erscheint eine Nnmmer.
Preis vierteljährlich 2.80 Mark.
Postzeitungsliste Nr. N74.
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Alle 14 Tage erscheint eine Nummer.
Olwvg FWAÜLÜÜlMN. Inserate: 40 Pfennige für die 4 ge-
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publikationsorgan des Deutschen Kunstvereins in Berlin, des Schlesischen Kunstvereins in Breslau, des Kunstvereins siir das Grosiherzogthum Hessen in Darmstadt, des Anhaltischen Kunst-
vereins in Dessau, des Württembergschen Kunstvereins in Stuttgart, des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins in kiel, der Kunstvereine in München, Oldenburg, Mannheim, Nürnberg, Gera,
Altenburg, Elberfeld, Barmen, Bielescld, Görlitz, Danzig, Königsberg, Stettin u. a.

Ur. 30.

1. Airgttst 1898.

II. Jahrgang.

Jur Schätzung Walter Teistikow's.
Bon Wilhelm Mbian.

n Zeiten einer sich neu gestaltenden Kunst, wo im Kampf
gegen althergebrachte Formen und Schablonen neue werthe
der Empfindung und Technik auftreten, und wo bei dem
Versuch der einzelnen Künstler, die neue Richtung in
individuelle Bahnen zu lenken, die kunftprinzipien durcheinander-
gähren, pflegt es für den mit den Richtungsfchlagwörtern spielenden
Kritiker von Fach eine Freude und ein Leichtes zu fein, einen jeglichen
kunstjünger einer bestimmten Richtung, einem der neuen —ismen
zuzuweisen, und feinen Werdegang an der Hand dieser Schlag-
wörter zu verfolgen. Schwerer hat es der kunftliebende Laie,
der dem Urtheile der Fachleute nicht bloß nachbetet, wenn er
nach und nach vor verschiedenartige Werke eines und desselben
Künstlers tritt, die Einheitlichkeit der Entwickelung und der
Persönlichkeit zu erkennen. Denn die Schlagwörter, mit denen
sich so leicht urtheilen und vernrtheilen läßt, sagen im Grunde
wenig genug, wo es gilt, die Eigenart eines Künstlers in der
von ihm vertretenen Richtung zu kennzeichnen, und was mit
ihrer Hilfe für das Verständniß des Einzelnen erreicht wird, ist
meist mehr eine Konstruktion als ein wirkliches Eindringen in die
Persönlichkeit. Andererseits wird gerade in den Epochen größerer
Umwälzungen das Talent nach verschiedenen Richtungen hin-
gezerrt, bevor es seine eigene künstlerische Individualität entdeckt.
Den Einflüssen, die von den einzelnen Entdeckern und Leitern
gleichzeitig oder kurz nacheinander auftretender neuer Richtungen
ausgehen, unterliegt mehr oder minder unbewußt jeder werdende
Künstler; in ihrer Nachahmung und Verfolgung thut er immer
mehr von dem Seinigen hinzu, bis er zum Bewußtsein der ihm
eigenthümlichen künstlerischen Formen durchgedrungen ist. Gelingt
ihm das nicht, so bleibt er Zeit seines Lebens ein Nachahmer,
und zwar der fremden Vorbilder, oder auch sein eigener. Denn
es giebt auf jedem Gebiete Entdecker, die in ihrer ersten ,Form
stecken bleiben, und denen mehr das Verdienst bahnbrechender
Initiative, denn das eigentlicher und fortschreitender Entwickelung
zugesprochen werden muß. Für Beides bietet nicht nur die
Geschichte der Malerei in den letzten 30 Jahren mehr als ein
Beispiel.
Es ist ein natürliches und erfreuliches Zeichen der Zeit, daß
neben unfern großen jährlichen Kunstausstellungen mit ihren
Massenanhäufungen von Bildern sich kleine Vereinigungen von
Künstlern bilden, die, mehr oder weniger auf gewisse Schlag-
wörter und Kunstprinzipien eingeschworen, in geschlossener weise
dem Publikum ihre Werke vorführen und dadurch einen weit

leichteren Ueberblick über die Entwickelung der einzelnen und der
gejammten Kunstrichtungen gestatten, als dies sonst möglich wäre.
Freilich ist es oft schwer, die gemeinsame Basis zu entdecken, auf
der die verschiedenen Künstler sich zusammengefunden haben; allein
es darf umgekehrt als ein großer Vorzug angesehen werden,
wenn innerhalb solcher, durch irgend ein gemeinsames künstlerisches
Band geknüpften Verbindung die künstlerischen Individualitäten
zu ihrer vollen eigenartigen Entwickelung gelangen.
Unter den Malern^ die 1891 die freie Vereinigung der XI
konstituirt haben zu dem Zwecke, durch jährliche Ausstellungen in
Berlin die Arbeiten ihrer Mitglieder zu zeigen und dadurch
der modernen Richtung in der Malerei, einem gesunden
Impressionismus, Boden zu gewinnen, ist nach Mar Liebermann,
dessen Bedeutung nun endlich allgemein anerkannt ist, Walter
Leistikow eines der eigenartigsten Talente.
wollte man ihn aber ausschließlich zu den Impressionisten
zählen, so wäre er selbst und seine Entwickelung damit nur un-
genügend charakteristrt. Dies Schlagwort erschöpft ihn nicht.
Ls lassen sich, ohne genaue kenntniß der persönlichen Erlebnisse
und des gesummten Milieus, aus den Werken eines Künstlers
allein in den seltensten Fällen die Clemente vollkommen be-
stimmen, die seinen Werdegang beeinflußt und die verschiedenen
Phasen seiner Entwickelung und seines Schaffens bedingt haben.
Und Walter Leistikow zeigt uns, obwohl er erst das Mannes-
alter erreicht hat, schon verschiedene Gesichter.
Er ist am 23. Oktober 1863 zu Bromberg geboren, wo er
das Gymnasium besuchte und klassische Bildung genoß. Ostern
1883 kam er nach Berlin auf die Akademie und stndirte unter
Cschke und Hans Gude. Seine weitere Entwickelung hat er sich
selbst zu danken. Durch eine ihm befreundete dänische Schrift-
stellerin veranlaßt, machte er später eine Reise nach dem Norden,
die wohl von bestimmendem Einfluß auf seine Malweise gewesen
ist. Ls sei erwähnt, daß er auch schriftstellerisch thätig ist und
einen Roman „Auf der Schwelle" veröffentlicht hat. Er lebt
in Berlin und wirkt hier zugleich als Lehrer. In dieser Hinsicht
und für sein eigenes Schaffen beachtenswerth sind die Worte,
die er gelegentlich der Berliner Gewerbeansstellung geschrieben
hat: „Ich sehe in dem Dilettantismus eins der wesentlichsten
Mittel, das so darniederliegende Kunstgefühl, den Geschmack
unseres Publikums zu heben .... Cs kommt wohl in erster
Linie darauf an, die Liebe zur Kunst, d. h. zur Natur zu
fördern, die Genußfähigkeit des Auges, des Ohres zu schärfen
 
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