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eutschr Kunst.

Keiblatt: Das Melier.

Zllustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen.

Lentral-Organ deutscher Kunst- und Künstler Vereine.

Alle 14 Tage erscheint eine Nummer.
Preis vierteljährlich 2.80 Mark.
Postzeitungsliste Nr. 1174.

Perausgegeben von
Georg MalkowMg.
Schrislleitung und Verwaltung Berlin W.57, Hkeinmetzstr. 26.

Alle 14 Tage erscheint eine Nummer.
Inserate: 40 Pfennige fiir die 4ge-
spaltene Nonpareille-Zeile.


Ur. 19.

15. Irrtt 1898.

II. Jahrgang.

Anselm Feuerbach.

Bon Jarno Jessen.

^MWHtchts Kurzsichtigeres als dem Zeitgeist Uniform aufzwingen
wollen. In der Vielseitigkeit menschlicher Bestrebungen
liegt der Reiz der Völkergeschichte. Die Einheit in der
Vielheit soll sich dem Blick des Philosophen erschließen.
In Spencer's „Feenkönigin" prunkt die Göttin der Wandelbarkeit
mit so überzeugenden Beweisen ihrer Perrschergewalt, daß der
Olymp selbst ihr die Uebermacht auf Erden zugestehen will,
aber die ernste Göttin der Beständigkeit gewinnt nach kurzem
Plaidover den Streitfall. Das bunte Lebensspiel der Menschheit
wird von wenigen Grundprinzipien geregelt. In all unseren
Kulturphasen sind wir immer nur Idealisten oder Realisten ge-
wesen, und nur die Auserlesenen verstanden die Weisheit des
Kompromisses. Unsere Moderne ist berechtigt in dem Sinne,
daß die Kunst ein Spiegelbild ihrer Zeit sein will und muß;
aber sie übersieht, daß der klassische Kanon schließlich nur den
künstlerischen Gipfelpunkt in der Darstellung des Realen be-
deuten will. Eonftantin Meunier's Arbeitertypen tragen einen
Verklärungszauber hellenischer Schönheit, Gerhart Pauptmann's
Schöpfungen beginnen uns mit dem Antlitz poestevollen Lieb-
reizes anzulächeln. Riemals ist die Sonne Pomer's dem deutschen
Volke untergegangen. Längst vor winkelmann's leidenschaftlichem
Evangelium der Antike hatte der bezopfte Gottsched mit franko-
deutschem Klassizismus die Geister beherrscht. Lessing und Goethe
kamen dann helleres Licht spenden, und selbst unter den wilden
Cmanzipationsgelüsten der Romantik war für Friedrich Schlegel's
athenienstschen Kultus Raum.
Im Reich der bildenden Kunst hat Anfangs dieses Jahr-
hunderts Larstens mit großer Gefolgschaft, und um die fünfziger
Jahre der einsame Anselm Feuerbach „Das Land der Griechen
mit der Seele gesucht". Als Feuerbach 1855 auf italienischem
Boden seinen Einzug hielt, kam ihm das Gefühl einer Ver-
zauberung, für das ihm noch die Formel fehlte. Mit 21 Jahren
hatte er geglaubt, in Paris die Offenbarung zu schauen, aber
erst Italien wurde ihm zum gelobten Land. Diese vornehme
Künstlerseele hat während eines rastlosen Schassens von 3^ De-
cennien unwandelbar zu dem gleichen Dogma geschworen. Lin
eigenartiges Gemisch von Philosoph und Dichter, von Prinzipien-
mensch und Enthusiast war ihm die erhabene Schönheit, das ab-
solut Große das Ideal. Bevor er seinem Volke die Früchte
solchen Strebens schenkte, hatte er als erster Bahnbrecher des
neu erwachenden kolorismus gewirkt. Schien ihm auch durch
häuslichen Einfluß und die angeborene Gabe des Formalen der
plastische Sinn in besonderer Stärke verliehen, so regte sich doch

bald die Sehnsucht nach „dem vergeistigten Spiegelbild aller
Dinge", dem Kolorit. Sein ganzes Leben ist ein schweres
Ringen mit seinem können. Fühlte er sich einen schöpferischen
Augenblick lang als Pelios die Sonnenrosse bändigen, so sah
ihn die nächste Stunde als Phaeton in sein Nichts stürzen.
Feuerbach's „Vermächtniß" ist der aufgerollte Vorhang vor der
Tragödie eines tropfenweis verblutenden Märtyrers. Cs ist ein
schwerer Irrthum des Psychlogen, ihn aus diesem äocument
kumuin als den Dekadenten zu beurtheilen. Er rang und litt
für jede seiner Schöpfungen, und die zögernde Anerkennung der
Mitwelt rettete ihn jedesmal dicht vor totalem Zusammenbruch.
Der Kampf mit einem schwachen Körper, mit den Sorgen für
das tägliche Brod hat ihn nie zum Götzendiener der Alltags-
mode herabgezerrt. Immer hat er souverän die Pose verachtet.
Wie dem unglücklichen platen und Kleist hat ihm der volle
Lorbeerkranz gefehlt; aber seine Kunst hat ihn zum Antäus
werden lassen, und das Bewußtsein seines idealen Wollens lieh
ihm die Kraft des Widerstandes so lang er strebte. In den
Annalen der Kunstgeschichte steht Anselm Feuerbach's Rame mit
goldenen Lettern eingezeichnet. Er ist der konsequente Vertreter
des Klassizismus auf deutschem Boden. Trotz der Pamlet-Zer-
rissenheit seines Innern, die aus dem Konflikt des Wollens und
Könnens entsprang, ist er eine völlig geschlossene Persönlichkeit.
Und je mehr er in sich litt, je muskelstärker, eherner strebte er
sein Werk zu gestalten. Dieses Werk vermag der Kritik gewisse
Blößen nicht zu verhüllen, aber oft erwächst hier dem Biographen
die Pflicht des psychologischen Kommentators. Bleibt trotzdem
auch dann noch eine Lücke für die Vollschätzung, so liegt diese
in den Grenzen seines könnens. Sein Wollen stand unfehlbar
auf der höchsten Pöhe. -
Feuerbach's Leben trägt den Stempel der Rastlosigkeit. Sein
Genius ist ihm zum Dämon, nicht zum Friedensengel geworden.
Cs trieb ihn von Ort zu Ort, es drängte ihn ruhelos zu neuem
Schassen. Er konnte sich nie genug thun. Die Klassizität hat
er im Llternhause „mit der Muttermilch" eingesogen. Sein Vater,
der Verfasser des „Vatikanischen Apollo", erschloß ihm früh die
Leidenschaft für das Griechenthum. Eine stolze Familienchronik,
die Atmosphäre des Feinsinns umgab seine Kindheit, auch als er
nach dem Verlust der ersten Mutter im Pause seines Großvaters,
des Appellations-Gerichts-Prästdenten Feuerbach, voll verzärtelnder
Aengstlichkeit gehütet wurde. Dann prägte ihm die liebevolle
Obhut einer Stiefmutter weiter den Paß gegen alle Formlosigkeit
ein. Ein Fehlgriff für die künstlerische Entwickelung des Sechzehn-
 
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