mische Kunst.
Keiblatt: Has Melier.
preis vierteljährlich 2.80 Mark.
Postzeitungsliste Nr. U74.
Zllustrirte Zeitschrift für das gefammte deutsche Kunstschaffen
Zentral-Organ deutscher Kunst- und Künstler-Vereine.
Herausgegeben von
Georg MalüawMg.
Schrifkleilung und Verwaltung Berlin ^V.67, Skrinmetzsir. 26.
Publikationsorgan des Deutschen Kunstvereins in Berlin, des Schlesischen Kunstvereins in Breslau, des Knnstvereins sür das Grosihcrzogthuni Hegen in Darmstadt, des Anhaitischen Kunst-
vereins in Dessau, des Württembergschcn Kunstvereins in Stuttgart, des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins in kiel, der Kunstvereine in München, «Oldenburg, Mannheim, Nürnberg, Gera,
Altenburg, Elberfeld, Barmen, Bielefeld, Görlitz, Danzig, Königsberg, Stettin u. a.
Uv. 11.
1. Mävx 1898.
II. Iahvgsrrg.
Fritz ^teub, ein deutscher Alalerchumorist.
Bon Paul Thiem.
ir leben in einer merkwürdigen Zeit. Der verstand
macht Kunst. Wenn bei einem Mangel an Gewaltigen
eine sehnsüchtige Menge Durchschnittsmenschen für voll
nimmt, eitlen Prahlern glaubt, sie seien Helden,
Taschenspielern, sie könnten aus Kupfer Gold machen, wohin
soll das führen? Ls zeitigt eine greuliche Epidemie, den
Größenwahn. Junge muthige Geister zerschlugen die alte Romantik
und boten uns sauere Früchte vom Mutterboden Natur, nichts
'Ausgereiftes. Wahrheit hieß es hinten und vorn und Wahrheit
wurde geboten immer kühner, immer dreister. Wir zeigen, was
Ihr sucht, wir stürzen das Alte.
Aber das wirklich Geschaffene verging schnell, viel zu
schnell, es ähnelte einer Mode, von wenigen Stärkeren erfunden
und bald abgebraucht. Fort damit, man wird darüber nach-
denken, wie es schöner zu machen sei! Da wuchsen Andere in die
Höhe, die verächtlich
herabschauten auf die
Naturbieter, die
Photographen. Farbe
über Alles! Wir
traten ein in das
phantastische Land
der Farbens^mpho-
nieen in Blau, Roth,
Grün,Gelb. Träume-
rische Lilien, schmach-
tende, furchtbar lange
Jungfrauen, weiße
sänftigliche Birken-
stämme. Lin Schauer-
süßlichster, greisenhaf-
tester Romantik hieß
die kleinsten sich er-
heben, die bald fest
überzeugt waren, daß
auch sie zur Lösung
des großen Geheim-
nisses berufen seien.
Und sie fanden ge-
waltige Streiter der
Feder, welche mit
dem Unverstand des
Publikums harten
Kampf suchten. Die Federn selbst waren neuromantifch, die
Tinte farbig und die Worte wie die Birken, die Jungfrauen und
die Lilien. Die Sätze glichen abenddurckglühten Glasfenstern.
Zur selben Zeit jagte das Kunstgewerbe sämmtliche erreichbare
Gtilarten todt. Die Architekten schmückten die Städte mit groß-
artigen Lrfindungen. Sie schufen in einer Straße ein Ragout
von Griechisch-Römisch, Romanisch-Gothisch, Renaissance, Barock,
Roccoco, Zopf, Empire, Biedermannerfindungen. Und hier
wie bei den Anderen höhnte der Verstand die Kunst und machte
sich lächerlich vor jedem einfachen, echt gothischen Klingelzug,
der richtig, gesetzlich und einfältig an einer bescheidenen
Thür hing.
Indessen bildeten die Plastiker riesige Standbilder. Sie
schielten allerdings gleich den Architekten auch mal rückwärts,
aber man nannte doch viele bald Professoren und that sich zu-
sammen und schrieb
über sie, und gab
ihnen neue herrliche
'Aufträge, die große
Kunst zu zeigen, wie
man auf öffentlichen
Plätzen Reiter auf
erzene Pferde jetzt
oder Springbrunnen
mit Löcklin'schen Fi-
guren ausstattet. Daß
diese Reiter sich sehr
klein, unwürdig und
unwahr vorkommen,
können sie unmöglich
selbst erzählen.
Auch die Literatur-
war zu neuem Leben
erwacht, obgleich es
gerade bei uns Leute
genug gab, die be-
scheiden ihren vor-
geschriebenen Weg
gingen. Posaunen-
stöße, Hurrahrufen,
Trompetengeschmetter
kündeten alle Augen-
blicke neue Weltum-
Fritz Steub, Untersuchungsrichter und Sträfling.
Keiblatt: Has Melier.
preis vierteljährlich 2.80 Mark.
Postzeitungsliste Nr. U74.
Zllustrirte Zeitschrift für das gefammte deutsche Kunstschaffen
Zentral-Organ deutscher Kunst- und Künstler-Vereine.
Herausgegeben von
Georg MalüawMg.
Schrifkleilung und Verwaltung Berlin ^V.67, Skrinmetzsir. 26.
Publikationsorgan des Deutschen Kunstvereins in Berlin, des Schlesischen Kunstvereins in Breslau, des Knnstvereins sür das Grosihcrzogthuni Hegen in Darmstadt, des Anhaitischen Kunst-
vereins in Dessau, des Württembergschcn Kunstvereins in Stuttgart, des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins in kiel, der Kunstvereine in München, «Oldenburg, Mannheim, Nürnberg, Gera,
Altenburg, Elberfeld, Barmen, Bielefeld, Görlitz, Danzig, Königsberg, Stettin u. a.
Uv. 11.
1. Mävx 1898.
II. Iahvgsrrg.
Fritz ^teub, ein deutscher Alalerchumorist.
Bon Paul Thiem.
ir leben in einer merkwürdigen Zeit. Der verstand
macht Kunst. Wenn bei einem Mangel an Gewaltigen
eine sehnsüchtige Menge Durchschnittsmenschen für voll
nimmt, eitlen Prahlern glaubt, sie seien Helden,
Taschenspielern, sie könnten aus Kupfer Gold machen, wohin
soll das führen? Ls zeitigt eine greuliche Epidemie, den
Größenwahn. Junge muthige Geister zerschlugen die alte Romantik
und boten uns sauere Früchte vom Mutterboden Natur, nichts
'Ausgereiftes. Wahrheit hieß es hinten und vorn und Wahrheit
wurde geboten immer kühner, immer dreister. Wir zeigen, was
Ihr sucht, wir stürzen das Alte.
Aber das wirklich Geschaffene verging schnell, viel zu
schnell, es ähnelte einer Mode, von wenigen Stärkeren erfunden
und bald abgebraucht. Fort damit, man wird darüber nach-
denken, wie es schöner zu machen sei! Da wuchsen Andere in die
Höhe, die verächtlich
herabschauten auf die
Naturbieter, die
Photographen. Farbe
über Alles! Wir
traten ein in das
phantastische Land
der Farbens^mpho-
nieen in Blau, Roth,
Grün,Gelb. Träume-
rische Lilien, schmach-
tende, furchtbar lange
Jungfrauen, weiße
sänftigliche Birken-
stämme. Lin Schauer-
süßlichster, greisenhaf-
tester Romantik hieß
die kleinsten sich er-
heben, die bald fest
überzeugt waren, daß
auch sie zur Lösung
des großen Geheim-
nisses berufen seien.
Und sie fanden ge-
waltige Streiter der
Feder, welche mit
dem Unverstand des
Publikums harten
Kampf suchten. Die Federn selbst waren neuromantifch, die
Tinte farbig und die Worte wie die Birken, die Jungfrauen und
die Lilien. Die Sätze glichen abenddurckglühten Glasfenstern.
Zur selben Zeit jagte das Kunstgewerbe sämmtliche erreichbare
Gtilarten todt. Die Architekten schmückten die Städte mit groß-
artigen Lrfindungen. Sie schufen in einer Straße ein Ragout
von Griechisch-Römisch, Romanisch-Gothisch, Renaissance, Barock,
Roccoco, Zopf, Empire, Biedermannerfindungen. Und hier
wie bei den Anderen höhnte der Verstand die Kunst und machte
sich lächerlich vor jedem einfachen, echt gothischen Klingelzug,
der richtig, gesetzlich und einfältig an einer bescheidenen
Thür hing.
Indessen bildeten die Plastiker riesige Standbilder. Sie
schielten allerdings gleich den Architekten auch mal rückwärts,
aber man nannte doch viele bald Professoren und that sich zu-
sammen und schrieb
über sie, und gab
ihnen neue herrliche
'Aufträge, die große
Kunst zu zeigen, wie
man auf öffentlichen
Plätzen Reiter auf
erzene Pferde jetzt
oder Springbrunnen
mit Löcklin'schen Fi-
guren ausstattet. Daß
diese Reiter sich sehr
klein, unwürdig und
unwahr vorkommen,
können sie unmöglich
selbst erzählen.
Auch die Literatur-
war zu neuem Leben
erwacht, obgleich es
gerade bei uns Leute
genug gab, die be-
scheiden ihren vor-
geschriebenen Weg
gingen. Posaunen-
stöße, Hurrahrufen,
Trompetengeschmetter
kündeten alle Augen-
blicke neue Weltum-
Fritz Steub, Untersuchungsrichter und Sträfling.