Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Deutsche Kunst.

145

innerung mit den Rudimenten einer nationalen Gemäldegalerie in
Verbindung und erbaute innerhalb eines Jahrzehnts von —1876
die Rationalgalerie. Der geplante Säulenumgang wurde, mit
Rücksicht auf die Belichtung zu einer mit Halbsäulen beklebten
Mauer, aus der Freitreppe wurde eine Doppelstiege mit Thor-
öffnung und Reiterdenkmal, es entstand aus dem Unterrichts-
gebäude eine Pseudo-Gemäldegalerie.
Die innere Entwickelung der Sammlung nahm ebenfalls keinen
besonders glücklichen Verlauf. Die wagner'sche Sammlung sollte
laut testamentarischer Verfügung als ein Ganzes erhalten bleiben,
in das sich die gelegentlichen Schenkungen bei ungenügenden
Fonds zu planmäßigen Ankäufen nur zwangsweise einfügteu.
Ruhmvolle Waffenthaten und die Wiedererrichtung des Reiches
führten zu nahe liegenden Verwechselungen patriotischer und
nationaler Kunst und nach Errichtung der Ruhmeshalle kam man
auf den nicht viel glücklicheren Gedanken, die Rationalgalerie
etwa wie eine Bibliothek zu behandeln und sie durch eine
portraitsammlung berühmter Dichter und Denker zu ergänzen.
Größere Organismen, wie die Raczinski'schen Bilder wirkten wie
Anwüchse, die den Körper anschwellen machten, ohne ihm neues
Leben zuzuführen.
Man hat für diese Zustände Personen verantwortlich machen
wollen, statt mit den Verhältnissen zu rechnen, man träumte von
einer Rationalgalerie, ehe es eine nationale Kunst gab. Märe
den „Anregungen" der Tageskritik Folge gegeben worden, so
würden wir heute an einer Repräsentation des wechselnden Mode-
geschmacks — noch weniger Freude haben. Das Drängen der
„Richtungen" nach staatlicher Anerkennung war ebenso begreiflich,
als das Widerstreben, das es fand, und wir nehmen, nachdem
ein Theil des älteren Bestandes ausgeschieden ist, keinen Anstand,
zu behaupten, daß man schon früher vorurtheilslos genug mit
Ankäufen verfuhr, um jedem sich behauptenden können zu seinem
Rechte zu verhelfen. Gerade die dankenswerthe Reuordnung der
Sammlung beweist, daß es nur einer günstigeren Aufstellung
bedurfte, um die aufgehäuften.Schätze zur Geltung zu bringen.
Wir waren bereits vor beinahe Jahresfrist in der Lage,
über die durch Herrn von Tschudi getroffene Reuordnung im
unteren Stockwerk zu berichten. „Jetzt erst erkennt man, welche
Fülle ganz vorzüglicher Werke die Galerie besitzt. Die Sammlung
des ersten Geschosses ist dabei reich bedacht durch die jüngste Kunst,
so daß man sich in einzelnen Kabinetten in den Salon Gurlitt
versetzt glaubt. Dieser innerlichen Wandlung entspricht die
äußerliche. Sämmtliche Wände haben neue Dekorationen aus
grünen oder dunkelrothen Stoffen bekommen, um das einfallende
Tageslicht in einer für die Gemälde um so wirkungsvolleren
Rüancirung zu reflektiren. Wohlthuend berührt es, daß die
Wände nicht mehr so überladen sind und das Auge die Eindrücke
ruhiger sammeln .kann. Die ausgestellten Gemälde sind nach
künstlerischen Gesichtspunkten gruppirt. Go wird ein großes
Mittelbild meist durch formal sich entsprechende kleinere Seiten-
stücke flankirt, und soweit es der Inhalt der Werke oder ihre
Farbentöne gestatteten, sind harmonische Zusammenstellungen mit
Glück versucht worden. Zur leichteren Uebersicht sind die Gemälde
einzelner Schulen wie die Berliner, Düsseldorfer, Münchener oder
einzelner Meister wie Böcklin, Lenbach, Menzel in einem Raume
zusammen untergebracht worden."
Dieselben Grundsätze sind jetzt mit gleichem Geschick für das
obere Stockwerk angewendet. Ohne streng an der chronologischen
Reihenfolge fest zu halten, hat man eine Gruppirung vor-
genommen, die einen Ueberblick über das Kunstschaffen unseres
Jahrhunderts gestattet. Die älteren Berliner, Düsseldorfer und
Weimaraner sind in den kleineren Kabinetten untergebracht, die
durch die größeren Säle unterbrochen werden. In dem langen
Korridor hängen die Belgier, mit denen die koloristische historische
Schule ihren Einfluß auszuüben begann, in einem großen Gaal
sind die modernen Italiener und Spanier untergebracht, denen
sich die Maler von Barbizon anschließen. Die imposante Bilder-
reihe endet mit den „Modernen", mit den internationalen Er-
werbungen des verflossenen Jahres. Mit ihnen setzt die „neue
Aera" der Rationalgalerie ein. Sie wurde mit einem Jubel

begrüßt, den
die neuesten
Ankäufe zum
Glück ein we-
nig gedämpft
haben. Auf
den „trium-
phirenden
Einzug" der
Ausländer
scheint die
nüchterne Er-
wägung ge-
folgt zu sein,
daß es sich
in der Ratio-
nalgalerie
vorAllemum
eine würdige
Vertretung
der deutschen
Kunst han-
delt, ja man
wird sich einer-
maßvollen
Berücksichti-
gung der älte-
ren Kunst er-
freuendürfen.
Die Tra-
dition der
Galerie ist in-
sofern ge-
wahrt, als
man zwei
Bildnisse von
Koner und

Max Koch, Skizze.


Lenbach erworben hat, die sich der Sammlung von portraits
bedeutender Männer unserer Zeit anreihen. Lenbach's Fürst
Hohenlohe bildete trotz seiner skizzenhaften Ausführung einen
Hauptschmuck der vorjährigen Berliner Ausstellung, und koner's
Ernst Lurtius gehört zu den besten Werken des Berliner Bild-
nißmalers. Das sind die feinen Züge, die sprechenden Augen
und der scharf geschnittene Mund des Gelehrten, der zugleich ein
Geschichtsschreiber, ein Dichter und ein Kunstkenner war und das
Empfundene und Gedachte in Schrift und Rede formvollendet zu
gestalten wußte.
An die ältere Kunstübung knüpfen zwei Thierstücke von
Teutwart Gchmitson an,- eine Rindviehherde auf der Weide
und eine koppel wilder Pferde, die von Steppenbewohnern zu-
sammengetrieben wird. Gchmitson gehört zu den Malern, die
einer unverdienten Vergessenheit entrissen zu werden verdienen.
Mit liebevollster Beobachtung verbindet er eine Schärfe der Auf-
fassung der Thierformen in Ruhe und Bewegung, die weit über
das Typische hinausgeht und sich mit einem überaus kräftigen
Kolorit verbindet. Er erinnert an Troyon, vor dem er die sorg-
samere Durchführung voraus hat, ohne ihn in der malerischen
Konzeption zu erreichen. Die „Heimkehr von der Kirchweih" von
dem 1868 verstorbenen Wiener Wilhelm Waldmüller möchten
wir nicht zu den glücklicheren Erwerbungen zählen. Das Bild
wirkt trocken in der Farbe und unbeholfen und hart in der
Zeichnung. Auch können wir Waldmüller unmöglich zu den
Meistern rechnen, für deren Vertretung in einer Deutschen Rational-
galerie ein zwingender Grund vorliegt. Wilhelm Trübner's
Landschaft „Auf Herrenchiemsee" mag mit ihren graugrünen
trüben Tönen so lange als Lückenbüßer gelten, bis es gelingt,
dem originellen Künstler eine geeignetere Vertretung zu sichern.
Mit der Erwerbung der „Dachauerinnen" von W. Leibl
hat die Rationalgalerie einer lange versäumten Pflicht genügt.
Leibl gehört in die erste Reihe der Wirklichkeitsschilderer, die der
 
Annotationen