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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1915)
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Fuchs, Emil: Die Tragik Englands
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0032

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Pose des Heldentums leicht zu bestechen. Und hier beginnt schon die
Gefahr seines Wesens.

Gegenüber dem starken und bedeutenden Hervortreten einzelner solcher
wirklich heldenhaften Gestalten, die für irgendein erhabenes Ziel des
Guten ein ganzes Leben rücksichtslos einsetzen, ist uns eines der merk-
würdigsten — ich möchte sagen — erschütterndsten Probleme die starke
Moral« und Ideallosigkeit der englischen Politik. Sie ist nicht nur heute,
sondern in der ganzen englischen Geschichte zu beobachten. Wie ist sie
möglich, wenn jene starke Begeisterung führender englischer Persönlich-
keiten wirklich wesenhaft ist? Immer wieder verleiten uns solche Ge-
danken dazu, jene heldenhafte Güte englischen Wesens für Heuchelei zu
Halten, was sie für jeden wirklichen Kenner Englands sicher nicht ist.
Für den Beobachter Englands, der sich etwas mit seiner Geschichte be-'
schäftigt hat, öffnet sich hier vielmehr der Blick in die tiefe Tragik eines
tüchtigen Volkes, das nicht vermochte, das Beste seines Wesens
in seinem Staatsleben zur Gestaltung zu bringen.

Das heroische und bis heute merkwürdig sprunghafte Starke und Gute
im englischen Wesen ist jene Eigenart des Volkes, die sich in Cromwells
Puritanern und Schwärmern so gewaltig äußerte. Dort in der Tat, dort
wurde der ernstliche Versuch gemacht, aus dieser Eigenart englischen Wesens
heraus das ganze Staatswesen zu bilden. Dieser Versuch scheiterte. Er
fand nur einen großen Staatsmann, Cromwell selbst. Cromwell handelt
im wesentlichen aus den gewaltigen, heißen Instinkten des großen Staats-
mannes und Feldherrn heraus. Als die echte Verkörperung des
„dump silent soul of England" beschreibt Carlyle deshalb ihn, der nie
imstande war, aus diesen starken, fest zufassenden Instinkten in gedanken-
mäßiger Durchbildung dann klare Zielgebung für die Zukunftsentwicklung
des englischen Staatswesens nach innen zu geben. Die Kleinen nach ihm
sind völlig ziellos. Mit Leichtigkeit konnte ihnen die Führung durch eine
kluge, gewandte Aristokratie aus der Hand genommen werden. Diese wußte,
wie man Menschen lenkt, aber sie hatte kein wirkliches volks* und staats»
bildendes sittliches Ziel, keine innere Ergriffenheit von der Eigenart des
Volkes. Dazu kam ein Aufleben der religiös vom damaligen Katholizis-
mus stärker beeinflußten Richtungen, die sich mit der weltfrohen Stim-
mung der Aristokratie verbündeten. Da es auch ihnen weder in der Form
des Katholizismus, noch in der Kompromißform der Church of England
gelang, die geistig gestaltende Macht des Staatslebens zu werden, blieb
für die Lenker des Staatslebens nur der eine Weg, den Staat als
die kluge Vermittlung der widerstrebenden Richtungen des geistigen
Lebens zu begründen und zu erhalten. Der Staat wurde grundsählich nur
die Zusammenfassung der Lußern, gemeinsamen Interessen des Volkes,
während jede Richtung und jeder einzelne Engländer eifrig darüber wachte,
daß die ihrer Gemeinschaft oder Person eigentümliche Betätigung und Ent-
wicklung mit allem Staatlichen unverworren blieb. Die Folge' davon ist,
daß alle sittliche Kraft des englischen Volkes sich als persönliches Helden-
tum, als Bewegung starker Gruppen, Gesellschaften, kirchlichen Gemein»
schaften zeigt, nicht aber bildende, gestaltende Kraft des Staatswesens ist.
Das Staatswesen ist für das Bewußtsein jedes Engländers die zwischen
den geistigen Kraftmittelpunkten vermittelnde Organisation der äußerlichen
Interessen.

Es ist sehr bezeichnend, daß ein Staatsmann nicht englischer Abkunft
 
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