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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1915)
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Avenarius, Ferdinand: Das "Deutsche Warenbuch"
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0038

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ware-Wertware, über Verzierung. Das deutsche Warenbuch ist also gleich«
zeitig eine Art von reich illustriertem Anterrichtsbuch und Abungsbuch des
Geschmacks. Es kann zum Preise von 2.50 M. von der „Dürerbund»
Werkbund-Genossenschaft" in Dresden-Hellerau bezogen werden. Später
soll es auch in den Buchhandel kommen. A

Vom Heute fürs Morgen

Fahnenschönheit

ir haben wieder Feste mit dem
tzerzen feiern gelernt, nicht nur
mit dem Munde und mit Spiel und
Tanz. Wie haben wir die Feste
feiern gelernt, durch die ein tief-
innerliches Glück zittert, brennt und
nach Ausdruck ringt!

Was war uns vor dem großen
Kriege eine beflaggte Stadt? Ein
heiterer Anblick. And jetzt? Ist es
nicht, als begännen auf einmal die
Steine zu sprechen? Aus all den
tzäusern, die jahraus, jahrein fremd
nebeneinander standen, strecken sich
plötzlich leuchtende, lebende Arme,
wehen, winken, wallen einander zu!
Die Fahnen grüßen, reden, dan-
ken, jubeln für uns Menschen und
erlösen in uns das Stumme.

In ungestümen Freudenwellen
rollen sie dahin, immer wieder den-
selben Sprung ins tzimmelblau hin-
ein, wie ein überströmendes tzerz,
das nur das eine Wort: „Dank,
Dank!" finden kann, nur eines, das
es immer wieder zur tzöhe ruft.

Das schwere Schwarz-gelb um-
flutet schwesterlich das frischklare
Schwarz-weiß-rot, als träume es von
seinem alten Kaiser, der in großer
Stunde die „starke Rechte" des jün-
geren Freundes drückte.

Oft hebt der Luftstrom eine Fahne
hoch empor und hält sie in wunder-
voller Wölbung reglos schwebend,
wie unsre Seele, die, von dem
Schwung des Sieges hinaufgetragen,
ihrer Erdenschwere vergißt.

In der träumerischen Lichtseligkeit
des Mittags aber stehen sie fast ohne

Regung und schauern nur dann und
wann in wortlosem Glück.

Selbst in das Innere des tzauses
dringt der Zauber der Fahnenschön-
heit. Draußen liegt die volle Sonne
auf dem leuchtenden Schwarz-rot-
gelb. Durch die halbgeschlossenen
Balken brennt der Widerschein der
Farbenstreifen ins Zimmer. Das
Gelb baut eine schwebende Goldsäule
in die dämmrige Tiefe des Naums.
Das Not haucht fremde, feierliche
Lichter über Menschen und Dinge,
Bilder und WLnde. Das Schwarz
dämpft und schattet. Das alles
schwingt und flimmert mit dem wech-
selnden Winde, als fließe draußen
ein Strom vorbei, ein großer, neuer
Strom.

Am wunderlichsten und gewaltig-
sten aber sind die Fahnen spät
abends, wenn die Straßen leer und
still geworden sind. Dann wachsen
sie zu Riesengröße und werfen sich
mit ungestümen Fittichen dem kühlen
Nachtwinde entgegen. Sie heben sich
sehnsüchtig wie Ahnungen zum gol-
denen Frieden des Sternenhimmels
und sinken wieder schwer in die Fin-
sternis zurück. Dann gleiten schwarze
Schatten an den blassen tzauswän-
den nieder, vielleicht die Schatten der
Toten, die um den Sieg geblutet.
Und wieder kommt der Nachtwind
selig klar gezogen. And wieder he-
ben sie ihre Schwingen aus der
schwülen Tiese zum reinen Sternen-
kranz empor. Wieder, immer wieder,
dunkel rauschend in Glück und Weh,
wie eine Menschenseele, die sich nach
dem Anendlichen sehnt und dehnt. ^
Margarete Glantschnigg

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