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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1915)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Zum Gedenken an Geibel: zum 17. Oktober 1915
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0079

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rnögen ein paar hier stehn. „Hütet euch" wie „Locken" muten wenigstens
mich fast griechisch an, obgleich und weil sie in der Form nicht antikisieren.
Freilich, man muß mit den Gedanken aus Kriegsland auf eine weltferne
Insel ziehn, um sie jetzt genießen zu können!

Hütet euch!

Wo am Herd ein Brautpaar siedelt,

Seid auf eurer Hut, ihr Knaben,

Wahrt, ihr Mädchen, euer Herz!

Denn am Morgen, denn am Mittag
Wie ein Duft von wilden Rosen
Schwebt die Glut verstohlner Küsse
Dort bezaubend in den Lüften.

Ach, und wenn der Abend dunkelt,

Anverhüllt durch die Gemacher
Wandelt mit geschwungner Fackel
Eros dann, und unablässig
Sprühn der Sehnsucht irre Funken
Weiterzündend um ihn her.

Wo am Herd ein Brautpaar siedelt,

Seid auf eurer tzut, ihr Knaben,

Wahrt, ihr Mädchen, euer Herz!

Locken

tzeute wär ich fast erschrocken
Dir zu Füßen hingestürzt,

Als du plötzlich deiner Locken
Wilden Reichtum losgeschürzt.

Glänzend um die schlanken Glieder
Wallt' ihr fesselloser Schwall
Auf des Teppichs Purpur nieder
Wie ein schwarzer Wasserfall.

Ach, und als du nun die braunen
Rätselaugen aufwärts schlugst
Rnd in reizendem Erstaunen,

Was mich so verwirre, frugst,

Als du dann zum Spiegel hüpftest
And die Schnur von Perlen dir
Tändelnd um die Stirne knüpftest —

O wie schön erschienst du mir!

Lauschend, keines Wortes mächtig,

Stand ich, atemlos gebannt,

Wie verzaubert in ein prächtig
Märchen aus dem Morgenland.

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