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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1915)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0102

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wird? Der Weg zur Weltwirtschaft
führt für die Deutschen über die
Völkerwirtschaft, über den mittel-
europäisch « kleinasiatischen Wirt«
schaftsbund. Frei wird für uns die
See erst sein, wenn eine feindliche
Absperrung uns nicht mehr treffen
könnte. —

Es bereitet sich Großes vor: die
Entscheidung soll fallen zwischen dem
Gold und dem Brot, zwischen der
Selbstsucht und dem Gemeingeist
draußen und drinnen, zwischen dem
freien Spiel und der sozialen Bin-
dung — zwischen England und
Deutschland! Heinz Marr

„Die schaffenden Stände"

elegentlich einer gemeinsamen
Kundgebung großer wirtschaft-
licher Verbande (zugunsten freier Er«
örterung der Friedensbedingungen)
war kürzlich viel von der „einhelli-
gen Forderung der schaffenden
Stände" die Rede, und schon vor
dem Kriege wurde im tzinblick auf
dieselben Körperschaften die Mög«
lichkeit eines „Kartells der schaffen«
den Arbeit" erörtert. Diese Bezeich-
nung wird manchem als eine Usur-
pation des Wortes Schaffen erschei-
nen (Anmaßung wäre zu viel ge-
sagt, denn es ist wohl keine Rn-
freundlichkeit gegen andere, ebenfalls
schaffende Berufe beabsichtigt). Aber
es wäre doch richtiger, wenn jene
Verbände bescheidener nur das
wirtschaftliche Schaffen für
sich in Anspruch nähmen und nicht
ihrem Auftreten mehr Wucht zu
geben suchten dadurch, daß sie alle
produktive Arbeit sich allein zu-
schrieben. Man wird hoffen dür-
fen, daß solcher Sprachgebrauch sich
nicht einbürgert, denn das würde
die Gefahr einseitig materieller Denk-
gewohnheiten, die wir mit diesem
Krieg und seinem ethischen Auf-
schwung zu vermindern hoffen, ver-
stärken. Solche Gefahr kann nicht nur
von ökonomischen Interessen her
heraufbeschworen werden, sondern

auch von der geistig naiven, ans kör-
perlich Greifbare gebundenen volks-
tümlichen Denkweise, von der Me«
phisto sagt:

„Was ihr nicht tastet, steht euch mei-
lenfern.

Was ihr nicht faßt, das fehlt euch
ganz und gar.

Was ihr nicht wägt, hat für euch
kein Gewicht."

In Wahrheit könnten sich diese
beiden plumpenAuffasfungen, — nicht
bloß die Neigung, den Wert der
Dinge mit ihrem Preise gleichzu-
setzen, auch die andere, die Wahrheit
und Geltung aller Dinge auf das
Leibhafte einzuschränken — gerade
jetzt wieder einmcrl gründlich berich-
tigt fühlen. Denn eben der Krieg
hat ja auch denen, die das vorher
nicht glaubten, bewiesen, welche Rolle
„Imponderabilien" selbst in der bru-
talsten Wirklichkeit spielen. Man hat
einstmals sogar ernsthaft die Frage
geprüft, ob dte Ausgaben für das
tzeer und die Flotte nicht „unproduk-
tiv" seien, — heute dürfte die Nei-
gung zu solchen Disputationen ge-
ring sein. Das kulturell Wertvolle
daran ist aber dies, daß die Allge-
meinheit eindringlichst lernt, wie
manche nicht direkt wirtschaftliche
Tätigkeit bitter notwendig sein und
sogar die ökonomische Produktion sel-
ber erst ermöglichen kann!

Lange Zeit ging selbst darüber
ein Streit um, ob der tzandel, der
heute in dem Kreis jener „schaffen-
den Stände" ein angesehenes Mit-
glied ist, produktive Arbeit leiste oder
volkswirtschaftlich unproduktiv sei.
Inzwischen hat jeder Schüler ge-
lernt, daß es allein darauf ankommt,
ob eine Funktion im Volksorganis-
mus unentbehrlich sei. So liegt es
auf der tzand, daß auch die schnelle,
richtige Verteilung dringende Be-
dürfnisse befriedigt, die ohne sie un-
befriedigt bleiben müßten; daß der
Vertrieb allererst den ungehemmten
Konsum ermöglicht, für den doch
durchweg gearbeitet wird; kurz daß

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