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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

DOI issue:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1915)
DOI article:
Natorp, Paul: Der Weg zum Frieden
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0229

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bestimmen nur Idealgesinnte. So wird es auch ferner bleiben; aber der
Vernünftigen und Idealgesinnten werden mehr geworden sein. Es ist
zum Glück nicht erforderlich, daß es alle, kaum, daß es die Mehrheit sei;
schon eine genügend starke Minderheit würde durch die innere Stärke,
die eben Wissenschast und Sittlichkeit verleihen, die Macht aufbringen,
die Masse der geistig und sittlich Trägen mit sich fortzureißen.

Darum darf man nicht verzagen, auch wenn wir in solchem Bestreben
vorerst nur wenige auf unserer Seite haben werden. Anterlägen wir
selbst, wir hätten doch nicht vergebens gekämpft. Wir hätten der Welt
ein Beispiel gegeben, das nach dem sicheren Gesetze der Mneme nicht auf
immer verloren wäre. Aber es ist ja keineswegs gesagt, daß wir endlich
unterliegen müßten. Wir werden, wenn wir nur stetig unseren Weg weiter
verfolgen, Kräfte in uns entdecken, die auch dem stärksten Ansturm gewachsen
sind. Rnd wir werden dauernd nicht allein bleiben. Es sind doch noch
nicht alle Völker gewillt, sich den Befehlen der Weltgewaltigen zu beugen;
und die Notwendigkeit selbst, gegen sie sich zu sichern, wird sie zwingen,
fest mit uns zusammenzustehen.

Doch wie auch die äußeren Geschicke der Völker sich wenden mögen, unser
höchster Sieg muß sein, daß wir uns selber treu bleiben und die schwere
Aufgabe, die auf unsre Schultern gelegt ist, entschlossen bis zum Ende
durchführen. Nicht die Abwehr nach außen, so nötig sie ist, vollends nicht
Zorn und Haß auf den Feind, soviel Grund wir dazu haben mögen, darf
unsere heiligste Losung sein, noch ist es das, was uns die innerste Kraft
der Behauptung unsres edelsten Selbst verleiht, sondern das vermag allein
die Treue gegen uns selbst, gegen unsere weltgeschichtliche Sendung. Darum
kann es uns nur schmerzen und empören, wenn eben die, die den wütendsten
Haß gegen unsere Feinde predigen, nur zu bereit scheinen, deren Kampfziele
und Kampfmethoden selbst zu übernehmen und unserem Volke zu empfehlen.
Sie merken nicht, daß sie damit seine Seele dem Feind verkaufen. Sie
schreien über russische Volksbedrückung, englischen Mammonsdienst und
Imperialismus, französische Gloire-Sucht, italienische Skrupellosigkeit des
nationalen Egoismus, aber bezichtigen fast des Volksverrats, wer denselben
Fehlern, wo sie auf deutscher Seite sich bemerklich machen, mit Ernst ent-
gegentritt. Irre man sich nicht: es gibt keine andre Rettung für Deutsch-
land, als daß es sein, von dem der andern grundverschiedenes Wesen rein
und fleckenlos in sich selbst herauszuarbeiten bemüht bleibt.

Allerdings ist es eine ganz gewaltige Verpflichtung, die es damit auf
sich nimmt. Sie bedeutet an innerem und äußerem Gewicht ein Vielfaches
von dem, was es bis dahin vollbracht hat und gegenwärtig vollbringt. Das
erst wird die entscheidende Probe auf seine innere Stärke sein, ob es auch
dem voll gewachsen sein, ob es die Energie aufbringen wird, die sehr ernsten
Aufgaben, die erst der kommende Friede ihm stellen wird, in ihrer Tiefe
zu erfassen und anzugreifen und so zu bewältigen, wie unsre Altvordern
die bei der gegebenen Lage auch nicht leichte Aufgabe, die sie zu lösen
hatten, trotz allem, was mißlang, doch in den wesentlichen Stücken bewäl-
tigt haben. Der äußere Krieg, der so grob deutlich unsere ganze Existenz
in Frage stellte, verlangte, daß wir unsere ganze Kraft zusammennahmen,
und wir haben es getan. Immerhin, er traf uns nicht unvorbereitet, und
er traf uns in unsrer vollen, geradezu strotzenden Kraft. Die schwere innere
Not, die folgen wird, wird eine viel ernstere Bedrohung unsrer ganzen
Existenz bedeuten, und sie wird uns überfallen im Augenblick der schwersten

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