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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1915)
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Kinder
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0272

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Gertrud Bäumer lehnt das in der „Hilfe" mit folgenden guten Grunden
ab: „Man hält sich an die Gewinnsucht und stärkt den Gedanken, datz die
Mühe, ein Kind zu gebären und aufzuziehn, sich »bezahlt« machen soll.
Aber aller Wille zum Nachwuchs beruht darauf, daß das Kind höher ge«
schätzt wird als alle die Mühe, die es macht. Mle Mutterleistung ift
Idealismus, Wille zu einer Hingabe, die ihren Lohn in sich trägt. Das
Wesen der Muttersorge ist, daß sie sich nicht bezahlt rnacht.«

Damit ist natürlich nichts dagegen gesagt, daß arme Mütter während
der Kriegszeit oder nachher Geldunterstützung nach der Zahl ihrer Kinder
erhalten. Das ist lediglich tzilfe für nackte Lebensnot, die zu leisten jede
menschliche Gemeinschaft schuldig ist. Etwas andres aber ist es, wenn
der Anterstützungsgedanke sich in den Lohngedanken verwandelt,
wenn aus der tzilfe eine Prämie wird. Dagegen wendet sich sofort das
Gefühl der menschlichen Würde. And man muß schon sehr tief in gelehrte
Betrachtungsweisen eingelebt sein, wenn dieses Gefühl nicht jeden Ge-
danken an den nationalökonomischen Nutzeffekt einer solchen Einrichtung
Hinwegschwemmt.

Es handelt sich hier um die schlimmste Folge des Kapitalismus, er
vollendet sich hierin selbst. Bachdem gerade auch durch seine Schuw
Familienglück und Kinderlachen mehr und mehr aus der Welt schwand,
wendet er sich mit seinem Mittel, dem Geld, an den Trieb, an den er sich
immer wendet, die tzabgier des einzelnen, um neue Menschen hervorzu»
locken. Das Geld dringt zu den Müttern vor. Ietzt erst fliehn die aller-
letzten Götter von der Erde.

Schließlich ist der Gedanke, wie alle allzuklugen Gedanken, auch noch
dumm. Es werden nicht die besten Menschen sein, die sich für ein
Sümmchen Geld fortpflanzen. And sie werden, nachdem sie das Geld
eingestrichen haben, ihren Kindern nicht die besten Erzieher sein. Danach
male man sich die ZukunfL der Menschheit weiter aus.

Will man mehr deutsche Menschen — und wer von uns wollte das
nicht! — so schaffe man dem gesunden Lebenstrieb unsres Volkes Raum,
sich zu entwickeln. Das heißt: man schaffe immer zahlreichere Möglich-
keiten für ein behagliches Familienleben. Darum erstens: Wohnungen
mit genügenden Zimmern und drum herum Apfelbäume, Rosen, tzim-
beersträucher, Kartoffelland. Zweitens: gute Löhne und Gehälter. Drittens:
den Frauen die Möglichkeit, sich ganz der Familie zu widmen, damit sie
ihre Kraft nicht an allerlei Dinge zu verwenden brauchen, die weniger wert
sind als eine saubere Wohnung, ein hübscher Garten, eine blühende Kin-
derschar. Viertens: den Kindern die Aussicht, daß sie auch ohne Ver-
mögen etwas Tüchtiges werden können. And so könnten wir noch manches
aufzählen. Dieser Art sind die wahren Arsachen für Volksvermehrung
und Volksverminderung.

Aller Arsachen letzte und tiefste aber liegt außerhalb der Organisations-
kunst: in der Lebensstimmung des Menschen und des Volkes. Welcher
Mensch sein Vertrauen nur auf Renten und Kapital setzt, der denkt nur
an Renten und Kapital und schreitet nicht mehr mit tapferen tzoffnungen
rn eine unbekannte Zukunft. Wer keinen Glauben hat an seine und seiner

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