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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1915)
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Eine Hauptgefahr für unser Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0281

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dem Geschichtlichen einzulassen, ohne daß alsbald der Sinn für „Authen-
tizität" geweckt und gescharft wird. Machen unsere Künstler ein freies
Rokoko, dann haben sie bald auch den geschulteren Kopisten auf dem Hals,
der sie verdrängen wird. Des zum Zeichen: das nicht gebaute Berliner
tzotel.

Die „deutsche Marke^ war vor Kriegsausbruch nahe daran, sich auch
im Auslande Geltung zu erobern. Aberall war man auf unsere junge
Baukunst und unser Kunstgewerbe aufmerksam. Man hatte sie belächelt,
befehdet, bespottet, solange es ging; dann begann man sich vor der Organi«
sation, der Zucht, der ziel- und zeitbewußten Einordnung zu beugen, die
sich auf jeden Fall darin aussprachen. Man erkannte uns an; durchaus
nicht freiwillig und nicht ohne Vorbehalte. Man fand uns schwer, pathe»
tisch, absichtlich, intellektuell, aber man fand uns auch neu und kraftvoll.
And gerade das war die Leistung, deren die Zeit bedurfte. Wir waren im
Begriff, den Widerstand zu zwingen. Ich weiß nicht, ob sich diese Tatsache
schon sehr deutlich in Ausfuhrziffern ausgeprägt hat. Aber man denke
an die Freude jetzt in Frankreich und England über die Erlösung vom
Druck der „deutschen Geschmacksinvasion" auf kunstgewerblichem Gebiete!
So ties atmet man nur dann auf, wenn der Druck, von dem man befreit
wurde, sehr stark gewesen ist. And nun auszudenken, daß wir dem Aus»
lande eines Tages, vielleicht bald nach dem Kriege, gestehen müssen: Eure
anfänglichen Zweifel waren berechtigt, unsere Anstrengungen laufen in
sich selbst zurück, wir können nicht länger eure Lehrer sein, wir haben ein»
gesehen, daß nur im Nachahmen eurer alten Formen, dem ihr ja auch
treu geblieben seid, das tzeil liegt! Das Gelächter, die Verachtung, die
Aberhebung wären um so nachhaltiger, je fühlbarer jetzt das Gewicht der
deutschen Aberflügelung auf ihnen liegt.

And im eigenen Lande? Sind all die Dinge, die je und je zum Kampfe
gegen die Nachahmung der historischen Stile gesagt wurden, nun nicht mehr
wahr? Es kann sich hier nicht darum handeln, diese Gründe zu wieder»
holen. Denn was ihnen jetzt entgegentritt, sind ja nicht etwa neue Gedan-
ken. Schuld am heutigen tzistorizismus sind nicht etwa neue Schaffens-
grundsätze, sondern wohl in erster Linie ist es ein falsch gerichteter und
geschmacklich träger Bestellerwille. Der blieb im Anfange der kunst«
gewerblichen Amwälzung ohnmächtig, die Künstler beachteten ihn nicht.
Man glaubte über ihn hinweggehen zu können, man glaubte vor allem,
ihn erziehen zu können. Im Laufe der Iahre zeigte sich, daß dieser Be»
stellerwille, der Geschmack der Zurückgebliebenen, doch eine starke Macht
war, denn von ihm hing das wirtschaftliche Gedeihen der jungen Bewegung
ab. Er ließ sich nicht belehren. Er hielt sein Geld fest, er bestand auf Kapi-
tulationen: Gib mir Pracht, Ornament, tzistorie, und ich gebe dir Be»
stellungen; anders nicht. So riß es ein. Anter ausdrücklicher Berufung
auf die Wünsche eines begüterten und repräsentationssüchtigen Publikums
ward zum neuen Kurse übergegangen; erst von großen, maßgebenden mo-
dernen Kunstgewerbehäusern — der tzerd war Berlin —, dann auch von
selbständigen Künstlern. Man machte Zugeständnisse, erst mit gutem, dann
mit immer schlechterem Gewissen, dann gab man einige Prinzipien preis.
Zum Schlusse, das ist unausbleiblich, wird sich der und jener selber preis»
gegeben haben — das ist ja das notwendige Schicksal aller, welche das
Wesentliche gegenüber den mindernden Einwirkungen der Amwelt nicht
festzuhalten wissen.

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