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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1915)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0301

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solcher, die geschmackbilderrd wirken
wollen, in Benutzung der „Kon--
junktur" der Buntrnode geradenwegs
den Geschmack verdirbt.

Woran erkennt man das gute
Kunstblatt? An der Ruhe. Lin
rechtes Kunstblatt lebt sich ganz
innerhalb seiner vier Wände aus.
Das Plakat, beispielsweise, ist eigent-
lich nur dann ein gutes Plakat, wenn
es kein gutes Kunstblatt ist, denn es
will ja zu irgend etwas erregen, was
außer ihm liegt. Das eigentliche
Kunstblatt dagegen sagt: „Nun laß
einmal das da um dich herum, guck
durch das Fenster, dessen Rahmen
mein Papierrand ist, und freue dich
daran, wie hier bei mir alles sich
selber trägt, sich selber wiegt, wie
hier alles im Gleichgewichte ruht."
Weil es ruht, deshalb schläft es nicht
etwa. Wenn etwas auf einem Kunst-
blatt schläft, so fühlst du sofort: hier
ist eine „tote Stelle". Line ganz
einheitliche, ganz einfarbige Stelle
braucht nämlich nicht „tot" zu sein.
Sie kann sehr lebendig, kann wuch-
tig stark sein, wie ein ganz einfaches
und auch ganz leichtes Wort, wie
sogar eine Pause in der rechten Rm-
gebung der andern Wörter selbst
das Allerwichtigste sagen kann. Die
rechte Amgebung ist eine, die in
Beziehung zu ihm steht. Die
Beziehungen wogen hin und her.
Beispielsweise auf unserm Blatt: die
lagernde grün-weiße Häuserreihe,
die ihre Ruh hat, und die stehende
schwarzweiße Baumreihe, die sich
überall bewegt und gestikuliert, —
merkst du nicht, wie die beiden im
geheimen miteinander spielen? Sie
laufen mitsammen dem Punkte zu
dort hinten—wo ihrerseits die schwar-
zen Rinnenlinien aus dem Hinter-
grunde aufquellen, die dann
durch den Schnee so lustig nach vorn
auseinanderlaufen. Das ist schon ein
Dreispiel. Und des Himmels Far-
bengeflock wieder spielt mit den bei-
den Reihen und mit jeder anders.

Wie überhaupt die Farbflächen auf-
einander wirken —, das lockere
Grüngraublau des tzimmels auf das
kräftige Grün der Häuser und auf
das gelbliche Weiß des Schnees!
And wie das Schwarz sie hebt! „Ich
leuchte dazu", sagt links das weiße
Feld, „fehlt' ich, die Baumstämme
hätten nicht halb so viel Kraft, und
die Straße wäre viel langweiliger."
Recht hat's, das Feld. Mcht wahr,
die Ruhe dieses Bildes ist reich?
Wir freuen uns dessen und haben
doch noch gar nicht von den artisti-
schen Reizen der Technik gespro-
chen, davon, wie sich das Messer mit
der Masse auseinandersetzt — ver-
weilen wir dabei, so wird uns, als
wären wir selber an diesem Wun-
denschneiden beteiligt, an diesem Her-
ausholen von Leben aus einer toten
Platte.

Wenn mehrfarbige Kunstblät-
ter auch nach gegebenen Vorlagen
in großen Auflagen nur Leuer her-
zustellen sind, so lassen sich ein-
farbige oft billig geben. Das
echte Kunstblatt braucht ja nicht far-
big zu sein. Ieder gute Stich ist ein
echtes Kunstblatt, jeder meisterliche
Holzschnitt, ob von Dürer oder einem
ganz Neuen wie Klemm, jede Zeich-
nung, die nicht etwa Studie oder
Lntwurf ist, sondern ein Fertiges in
sich. Der SLich, die reine Linie, das
Blatt ohne Zwischentöne läßt sich
leicht reproduzieren, ohne daß das
Wesentlichste verlorengeht. Darum
sollten wir das Richt-Far-
bige in unsernZeitschriften
viel mehr pflegen. Wir sollten
die Leute, sollten schon die Kinder
immer wieder daran gewöhnen, im
Linfarbigen, im Schwarz-
druck nicht etwa etwas Minderwer-
Liges zu sehn, wie jetzt unter der
Buntseuche geschieht. Wir sollten
ihnen vielmehr vor schönen Schwarz-
drucken sagen: „Seht mal, wie wenig
Mittel der Künstler gebraucht hat,
um euch so zu erfreuen — nur eine
 
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