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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0030

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14

Einleitung.

Indem ich das Wesen der mittelalterlichen Schön-
heitsidee in ihrem Verhältniß und Unterschiede zu-
nächst zur antiken Vorstellung von Dem, was als
„schön" gefühlt wird, zum Gegenstandes meines Vor-
trages wählte, ging nieine Absicht besonders auch dahin, gegen
das Vorurtheil anzukämpfen, als ob die Idee der Schön-
heit in ihrer höchsten Gestaltung durch die hellenische Welt
überhaupt bereits abgethau und mit ihr abgeschlossen sei,
so daß der späteren Zeit, folglich auch deni Christenthum
in seinen künstlerischen Gestaltungen, die eigentliche („klas-
sische", wie man es nennt) Schönheit abginge, wenn die
Formen dafür nicht etwa dem antiken Ideal entnommen
oder doch nachgcbildet würden. Nun spricht man zwar
der mittelalterlichen Kunst, namentlich aber der neueren in
ihrer Blüthezeit (Ende des 15. und erste Hälfte des 16.
Jahrh.) eine große Schönheit natürlich nicht ab, ja man
redet auch hier von einer „Klassicität" und knüpft dieselbe
an die Namen „Raphael", „A. Dürer" u. s. f.; mit der
Beschränkung jedoch, daß, diese Klassicität eine ganz an-
dere sei, als die hellenische. Hiegegen ist nun zuförderst
zu bemerken, daß, da doch unzweifelhaft in der hellenischen
Kunst jene vollkommene Harmonie des Geistigen und Sinn-
lichen, welche man „Schönheit" nennt, bereits zum erschöp-
fendsten Ausdruck gelangt ist, in der That sich schwer sagen
läßt, worin sich die „Klassicität" noch auf andere Weise
als in dieser Harmonie manifestiren kann.

Jedenfalls würde — die Möglichkeit einer solchen Ma-
nifestation angenommen — daraus folgen, daß die roman-
tische Klassicität entweder ein U eb er sch reiten der
Grenze des Schönen in seiner wahren Bedeutung der
Einheit von Geist und Sinnlichkeit, als gleichberechtigter
Elemente, ist: oder aber, daß diese Gleichberechtigung,
welche Las Wesen der griechischen Schönheit ausmacht, nicht
diejenige Form ist, in welcher sich der Begriff der Schön-
heit überhaupt auf erschöpfende Weise verwirklicht. — Im
letzteren Falle läge dann allerdings in dem griechischen Ideal
ein Punkt, welcher einer weiteren, nämlich höheren Entwick-
lung fähig wäre, und es kann in der That geschichtlich und
philosophisch nachgewiesen werden, daß die romantische
Kunst — wie wir im Gegensatz zur antiken die weitere
Fortbildung der Schönheitsidee nennen wollen — ihrem We-
sen nach eine solche höhere Entwicklung angestrebt hat. Aller-
dings ist es wahr, daß in der hellenischen Kunst die Schön-
heit in sofern zwar zum erschöpfendsten Ausdruck und zur
vollen Wirklichkeit gebracht ist, als das klassische Ideal die
harmonische Verschmelzung und gegenseitigen Durchdringung
von Inhalt und Form darstellt, so daß beide Seiten — Geist
und Stoff, Idee und Gestalt— eine gleichberech-
tigte Stellung zu einander einnehmen und in dieser
zur Versöhnung gelangen. Aber diese Gleichberech-
tigung ist zugleich derjenige Punkt, welcher die helle-
nische Schönheitsidee zu einer weiteren Entwicklung, zu
einem Fortgehen über sich selbst in eine höhere Phrase
hinaufdrängt: er ist die Achillesferse für das Leben der

Abhandlung, damit wir mit der ersten Abtheilung ungefähr zu
dem Zeitpunkt, an welchem der zweite Vortrag gehalten werden
soll, abschließen können, um unmittelbar nach demselben den
zweiten folgen zu lassen. D. Red.

hellenischen Welt überhaupt.

Denn in der Gleichstellung der Natur kann sich der
Geist nicht genügen, weil er das Höhere ist, er soll herr-
schen über sie und frei werden von ihr. —

Da ich hierauf später ausführlicher zurllckkommen werde,
bemerke ich vorläufig nur im Allgemeinen, daß in der ro-
mantischen Kunst, im Mittelalter überhaupt, diese Gleich-
berechtigung des Geistes und der Natur aufgehoben und
dadurch zwar ihre Versöhnung wieder zerstört, zugleich aber
auch eine höhere Entwicklung als Princip gesetzt wurde.
Gegen diese höheren Entwicklung scheinen nun allerdings
gewisse Bildungen der Kunst des Mittelalters einen
auffallenden Wiederspruch zu stehen, indem sie durch den
Schein äußerlicher Dürftigkeit und selbst Verzerrung eher
ein Rückschritt als ein Fortschritt gegen die wunderbare
Klarheit, Einfachheit und Reinheit des griechischen Ideals
zu sein scheinen; und wenn man den griechischen Götter-
gestalten eines Apollo von Belvedere, einer mediceischen
Venus, die so zu sagen zu Stichwörtern für unerreichbare
Schönheitsformen geworden sind, die Magerkeit und kör-
perliche Nüchternheit in den Madonnen und Christusbil-
dern der ältern mittelalterlichen Kunst, die Schrecklichkeit
der Märtyrerdarstellungen, die nicht selten bis zum Gräß-
lichen und Unschönen in der Form fortgehen, eutgegcnge-
stellt, so scheint es fast paradox, darin trotzdem eine höhere
Entwickelung der Schönheitsidee Nachweisen zu wollen. Die
Entscheidung über diese Frage kann nur von dieser andern
abhangen, ob die Schönheit etwa nur etwas Aeußerliches
sei, und ob mau bei ihrer Beurtheilung nur an der Schaale
haften bleiben dürfe.

Dies nun aber ist — wie ich gleich bemerken muß —
der tiefste Unterschied des Mittelalters voiu Hellenismus,
daß letzterer Alles, was es in sich hat — und es hat
sicherlich viel in sich — auch auf der Schaale zeigt,
daß das klassische Ideal mit einem Worte allen Jdeeinhalt
vollkommen veräußerlicht, während das christlich-ger-
manische Mittelalter die in ihm treibende und gährcnde
Empfindung vielmehr von der Oberfläche nach Innen
koucentrirt, so daß die Hülle etwas Nebensächliches wird.
Es verhält sich dadurch gegen die Acßerlichkeit der Gestalt
gleichgültiger, ja selbst — in asketischer Bekämpfung des
Sinnlichen als eines blos Natürlichen, Weltlichen, Schlech-
ten — abstoßend und vernichtend: kurz, es läßt nur diese
Innerlichkeit allein als das Wahre, Wesentliche und
folglich auch nur als das Schöne gelten. So gefaßt
erscheint die Innerlichkeit als Innigkeit des Empfin-
dens, in der Kunst wie in allen andern Gebieten, der
Religion namentlich, wo sic in der Form der Andacht,
der Verzückung, der Zerknirschung, der Askese überhaupt,
im öffentlichen Leben, wo sie als ritterliche Ehre,
Treue, zarte Liebe, begeisterte Opferfreudigkeit für die
Idee, im Privatleben, wo sie als gemüthvolle Häuslich-
keit des Familienheerdes u. s. f. erscheint. Alle diese Be-
griffe sind dem Alterthum in solcher Fassung durchaus
fremd. —

Diese Innigkeit der Empfindung nun, welche ans
einer dem Hellenismus ebenfalls fremden Vertiefung der
der Seele in sich selbst, aus einer Koucentration des Ge-
müths entsprang, muß ihrem wahren ideellen Werthe nach
 
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