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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0038

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nach einiger Zeit abermals zu besänftigen. Diese Beruhi-
gungspunklc, welche stets die Vorläufer der gewaltigsten
Stürme sind, bilden in der Weltgeschichte den Abschluß jener
Entwickelungsphasen, die man gewöhnlich Perioden nennt.
Aber dieses Auf- und Abwogen ist nicht ziel- und plan-
los : bei jedem Abschluß nimmt der Geist eine andere, be-
rechtigtere, mächtigere Stellung zur Materie ein, und diese
verliert bei jedem Stoß des Geistes an Selbstständigkeit, an
Bedeutung und daher auch an Wiederstandsfähigkeit. Da-
durch wird jener Kampf trotz seiner scheinbaren Regel-
losigkeit und stoßweisen Mannigfaltigkeit zu einer geregelten
Bewegung: cs ist ein ewiges Gesetz darin, und dieses Ge-
setz ist: der Geist soll frei werden.

Das Verhältnis; des Geistes zum Stoff kann nun ein
dreifaches sein: 1. der Stoff beherrscht den Geist;
dies giebt uns mit einem Worte den Charakter der orien-
talischen Welt; 2. der Gei st st ellt sich dem Stoffe
gleich und tritt zu ihm in das Verhältniß einer har-
monischen Versöhnung: diese Erscheinung offenbart
sich in der griechischen Welt; 3. der Geist erhebt
sich über die Materie und ordnet sie sich unter zu
seinen Zwecken: diese Aufgabe ist dem Germanismus,
der hier mit dem Christenthum zusammentrifft, an-
heimgefallen. Innerhalb dieser drei Hauptphasen des
Kampfes, welche sich als nothwendig aus der Natur der
beiden entgegengesetzten Elemente ergeben, gestalten sich nun
weiter höchst interessante Abstufungen, auf die ich an dieser
Stelle einzugchen mir versagen niuß. Dagegen werden Sie
mir gestatten, diese drei Hauptphasen in ihren nationalen
Vertretern zuerst etwas näher zu beleuchten, ehe wir zur
Vergleichung des Mittelalters zur antiken Welt übergehen.

1. Die Befreiung des Geistes vom Stofflichen, d. h.
nicht die Loslösung davon, sonder» die Herrschaft dar-
über, steht immer in gleichem Verhättniß dazu, ob und
wie weit der Geist weiß, daß er frei ist. Den Orien-
talen nun ist es unbekannt, daß der Geist, d. h. der
Mensch als solcher, frei ist. Der Eine selbst, welcher un-
ter ihnen als frei geglaubt wird, während sich alle Andern
als unfrei wissen, der Despot, ist in der That auch nicht
frei, da seine Freiheit bloße Willkür, ein Belieben der
Laune und Leidenschaft, er selbst also ein Spielball und
Sklave der stofflichen, vernunftlosen Elemente der mensch-
lichen Natur ist. Diese Herrschaft des Stofflichen, welche
wir in der staatlichen Entwicklung der Juden, Aegypter u. s. f.
durchweg finden, prägt sich ebenso auch in der Religion
und Kunst der Orientalen aus. Aber vielleicht offen-
bart sich das ewige Ringen des Geistes nach Freiheit
nirgends deutlicher als gerade in dieser Zeit seiner ver-
hältnißmäßigen Ohnmacht gegenüber der Materie. In
Religion wie in Kunst drängte der der Geist des Orien-
talismus in seinem Streben nach dem Erfassen des Un-
endlichen über die einfache Natürlichkeit hinaus; aber er
kam nicht zur Erhebung über die Natur, nicht zur Ueber-
sinnlichkeit, sondern nur zum U»natürlichen und zum Wi-
dersinnlichen, ja zum Wider- und Unsinnigen. Die
orientalischen Göttergestalten sind so nicht eigentlich Dar-
stellungen übernatürlicher Wesen, sondern wunderliche Un-
gestalten, in denen die verschiedensten Naturelemente gegen
alles Naturgesetz zusammengeworfen sind. Die Offenba-

rungen der indischen Gottheiten, als Personifikationen der
Idee, leiden nicht minder wie die ägyptischen Götterge-
stalten an jener seichten Symbolik, welche in der Zusam-
menstellung materieller Verschiedenheiten und äußerlicher
Beziehungen beruht. Außerdem sind die Avataren (Ver-
wandlungen) des Wischnu ein leeres Aufgehen in den
Natnrstoff, der dadurch selber ans seinen natürlichen Fu-
gen gerissen wird, ohne deshalb begeistigt zu werden.
Es liegt daher in allen diesen Gestaltungen eine gewisse
Trivialität, wenn man ihren Inhalt von der dem Ver-
stände zuerst durch die Ungewöhnlichkeit impvnirende Hülle
befreit. Ich wenigstens kenne z. B. kaum etwas Trivia-
leres, als die bekannte, resp. berühmte Sphinx, d. h.
die Darstellung einer allgemeinen Idee der Urkraft durch
eine äußerliche Addition verschiedener Kräfte auS der Na-
tur. — Geheimnißvoll sieht solch abnormes Geschöpf wohl
aus, aber nur deshalb, weil es das uns geläufige Natur-
bildungsgesetz über den Hausen wirft. Solche Bildungen
hervorzubringen ist — im doppelten Sinne verstanden —
keine Kunst. Alle diese Göttergestalten mit einer Menge
von Köpfen, Händen, Beinen u. s. f. sind nur groteske Kom-
binationen aller Art, phantastisch, aber nicht phantasie-
reich. Andererseits entwickelt sich ans dem dunkel gefühlten
Bedürfniß der Erhebung über den Stoff ein Schweifen
in's quantitativ Maaßlose und Ungeheure, wodurch aber
ebenfalls keine Befreiung vom Stoff erreicht wird. Gott
hat schon dafür gesorgt, daß nicht nur die Bäume, son-
dern auch die Pyramiden, Obelisken u. s. f. nicht in den
Himmel wachsen. In solchen Unwahrheiten nun — diesen
Ausdruck ideell und natürlich gefaßt — quält sich im Orien-
talismus der gefangene und von der Materie verdunkelte
Geist ab, ohne Anderes zu erringen, als das dumpfe Ge-
fühl seiner Machtlosigkeit und Knechtschaft. Daher die
tiefe Melancholie, welche diese Völker, namentlich die Aegyp-
ter niederdrückt, die Verherrlichung des Todes; es ist der
sehnsüchtige Schmerz des in den Banden der Materie ge-
fangenen Geistes über seine eigene Schmach und Ohn-
macht. —

2. Im Hellenenthnm wird nun die Uebermacht
der Materie über den Geist gebrochen. Das Räthel der
Sphinx wird gelöst, und das Ungeheuer, als Symbol der
materiellen Außersinnlichkeit und Uebermacht des Stoffs,
stürzt sich in den Abgrund. „Was ist's, das Morgens
auf vier Beinen geht, Mittags ans zweien, Abends auf
dreien?" so lautete die geheininißvolle Frage, welche die
Sphinx dem Oedipus vorlcgte. Die Auflösung nun, daß
es der Mensch sei, der in der Kindheit noch auf allen
Vieren fortkrieche, im Alter aber sich des Stocks bedienen
müsse, kann uns wohl einerseits trivial Vorkommen. An-
dererseits aber liegt darin die tiefere Wahrheit, daß der
Mensch überhaupt das Räthsel ist, welches sich in der
Weltgeschichte lösen und erfüllen soll. Der Mensch, d. h
was sein Wesen sei, nämlich die geistige Freiheit: das
war es ja eben, was die Orientalen nicht zu erkennen ver-
mochten. Und auch die Griechen nicht; das Räthsel der
Sphinx haben sie wohl gelöst, aber nur gegen den Orien-
talismus, nicht für sich. Wenn im Orient Einer frei war,
die Anderen Sklaven, so galten im Hellenenthnme nur
Einige als frei, die Andern aber nicht; so waren die Athe-
 
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