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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0054

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eingeräumt, dieses riesenhafte Atelier, aus dem so viele
bedeutende und umfangreiche Gemälde im Laufe von zehn
Jahren hervorgingen.

Obgleich äußerst fleißig und thätig, zögerte er doch
nie, die beschwerlichsten und gefahrvollsten Reisen und Expe-
ditionen zu unternehmen, wo es galt, seine Kenntnisse zu
bereichern und Studien für seine Werke zu machen. An
zwanzigmal durchschiffte er das Mittelmeer gen Afrika, um
die Kriege, Charaktere, Sitten, Kostüme, Landschaften Al-
geriens und seiner Beduinen und Kabylen an Ort und
Stelle mit eignem, prüfendem Künstlerauge nach allen Rich-
tungen hin kennen zu lernen. Er wohnte vielen Schlach-
ten und Zügen bei, fkizzirtc ruhig unter dem dem Donner
der Kanonen und bei dem Kriegsgeschrci der Feinde, lebte,
aß, scklief in den Zelten der Araber und eignete sich so
die genaueste Kenntniß des orientalischen Lebens und Cha-
rakters an, welches, durch seinen künstlerischen Genius ver-
geistigt, so schlagend in seinen Gemälden sich abspiegelt.

Bei Allem zeigte er eine Schnelligkeit und Schärfe der
Auffassungsgabe, welche allgemeines Staunen erregte. Was
und wen er einmal genau betrachtete, war auch seinem Ge-
dächtnisse scharf eingcprägt. Von den vielen Anekdoten
hier nur eine. Eines Tages besuchte er den Marqnis de
Pastoret, einen höchst gebildeten Kunstkenner und Kunst-
sammler. Erstaunt ruft dieser aus: „Nun, wir haben uns
ja Jahre lang nicht gesehen." — „ Es ist gerade sechs
Monate her, daß ich von Paris abwesend bin und Ihnen
die Hand gedrückt habe. Sie gingen damals mit einer
Dame im Garten der Tuilerien spazieren." — „Mit einer
Dame?" — Jawohl. Ich werde sie ihnen zeichnen". —
Bern et ergreift einen Bogen Papier und einen Bleistift
und zeichnet rein und sicher das Portrait der Dame, die
er vor sechs Monaten am Arme des Marquis gesehen
hatte. — „Hier ist sie", sagt er zum erstaunten Marquis,
ihm das Blatt überreichend. — „Wahrhaftig", ruft dieser
aus, „jetzt erinnere ich mich, das war die Herzogin von
V-, die ich zufällig dort traf". — Das Blatt wird noch
heut im Hotel de Pastoret aufbewahrt. —

Das innige und freundschaftliche Zusammenleben Ver-
ne t's mit den Arabern, die genaue Kenntniß ihrer Sitten
und Gebräuche und das sorgfältige Studium der Bibel,
welche seine Haupt- und Lieblingslektüre bildet, daheim
wie in der Fremde, in seinem Arbeitskabinet wie unter
den Palmen der Wüste, hatten den großen Künstler zu
der festen Ueberzeugung gebracht, daß die alten Hebräer
sich genau so kleideten, wie die modernen Araber. Der
Künstler hat lange an einem literarischen Werke gearbeitet,
in welchem er beweist, daß die meisten Sitten, Gesetze,
Gebräuche, Kostüme noch genau dieselben sind, welche im
„Exodus" beschrieben werden. — Der erste Theil dieses
interessanten Werkes wurde bereits vor Jahren im „Institut
cke Vrauee" vorgelcseu — Daher dieses „arabifier“ oder
Arabisiren biblischer Personen und Sujets in seinen Ge-
mälden. Fast alle derartigen Gemälde fallen in die Jahre
1834 und 35.

Den nächstfolgenden gehören seine großen Schlachtsceneu
an, wie „die Siege von Jena, Fricdland, Wagram und
Fontenay", die alle im I. 1836 ihre Vollendung fanden.
Ihnen folgte die Galerie von Konstantine in dem „hi-

storischen Museum", an welcher er ohne Unterbrechung
sechs Jahre arbeitete Außerdem sind nock in diesem
Saale ausgestellt „die Erstürmung des Teniah", „der Kampf
von Habrah", „das Bombardement von St. Jean d'Ulloa"
und „die Einnahme von Antwerpen."

Louis Philipp besuchte ihn oftmals in seinem Atelier.
Welche sociale und politische Ueberzeuguugcn und Grund-
sätze Verriet hatte, beweist Folgendes. — „Ich habe eine
Idee", sagte einst der König, „die ich Ihnen mittheilen
will." — „Und welche, Sire?" — „Ich will Sie zum Pair
von Frankreich erheben. Was sagen Sie dazu?" — „Ich
folge deni Beispiele meines Großvaters, welcher den Adel
ablehnte, den ihm Louis XV. bot." — „Warum weisen
Sie mein Anerbieten zurück?" — „Sire, das Bürgerthum
steigt und der Adel fällt. Lassen Sie mich Bürger bleiben".
— „Der Großvater hatte Recht, der Enkel aber hat Un-
recht. Die hohe Kammer ist bürgerlich." — „Allerdings
ist es jetzt anders, Sire. Der Adel ist todt, der Bürger
steigt herab und der Künstler herauf. Lassen Sie mich
also Künstler sein und bleiben." — Es war nie wieder
die Rede davon.

Jahre lang hatte Czaar Nikolaus den Künstler nach
Petersburg ciugeladen. Er hatte es stets verschoben. Ein
Louis XIV. jedoch, den er auf ein Schlachtbild nicht ma-
len wollte, weil er nicht hingehörte, war der Grund seiner
plötzlichen Abreise nach Rußland. Allein der Tod des
Herzogs von Orleans bestimmte ihn zur schleunigen Rück-
kehr ans Petersburg, in dem er sich keinesweges wohl
und heimisch fühlte. Louis Philipp hatte den kleinen Streit
vergessen, Bern et ward mit Freuden ausgenommen und
mit neuen Aufträgen überhäuft. Mit welchem Fleiß und
Erfolge er übrigens arbeitete, geht schon daraus hervor,
daß er bis zum Jahre 1842 für mehr als zwei Millio-
nen allein auf Bestellung Louis Philipps gemalt hatte. Die
Zahl seiner Gemälde, namentlich seiner Portraits, ist un-
bekannt und geht weit in die Hunderte.

Wie die Kritik die Werke älterer Meister in verschie-
dene Klassen und Perioden einzutheilen hat, so muß sie
auch, besonders bei dem außerordentlichen Reichthume, di^
Berne t's in mehre Abtheilungen, und zwar in vier,
sondern und ordnen. Die erste Abtheiluug umfaßt die-
jenigen künstlerischen Verherrlichungen des Kaiserreiches
und der Kaisersiege, welche dem idealistischen Stil uud
Streben David's verwandt find; die zweite, in der
sich eine ungleich größere Freiheit und Selbstständigkeit
manifestirt, bilden alle die geist- und charaktervollen, genre-
artig aufgefaßten Einzclsceucn und Episoden der napo-
leonischen Feldzüge, welche durch Tausende von Aqualin-
tablättern und Lithographien fast in ganz Europa allge-
mein bekannt und gefeiert sind; die dritte enthält vor-
zugsweise die Schlachtcngemälde, welche ihm Louis Phi-
lipp für das „historische Museum" zu Versailles auftrug;
die vierte und letzte endlich machen die biblisch-orienta-
lischen Gemälde aus, wie seine „Judith und Holofernes",
„Elieser uud Rebekka" u. s. w., sowie überhaupt diejeni-
gen Genrescenen, in denen er mehrfach auf eine unüber-
treffliche Weise — wir gedenken hiebei seines „Sklavinnen-
marktes" (Galerie Wagener in Berlin) — das bunte, inter-
essante Leben dcö Orients schildert. (Forts, folgt.)
 
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