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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0062

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mit ihren langgegliederten Schlachtreihen, sondern in die
Enge des Straßenkampfes hineinführt, mit seinen interes-
santen Einzelnheiten, welche dem Künstler die reichste Ge-
legenheiten darboten, die Fülle seiner scharfen und leben-
digen Charakteristik zu entwickeln, ist „die Barriere von
Clichh oder die Vertheidigung von Paris im I. 1814",
gemalt 1820. Das der späteren Zeit und dem, zwei glän-
zende Säle zu Versailles umfassenden, Cyklus der afrika-
nischen Feldzüge angchörige Riesentableau ist „die Smala."
Smala, arabisch Zamalag, auch Zamalat, bezeichnet über-
haupt die Familie, den Hof eines arabischen Fürsten oder
Emir, und zwar hier die Familie und den Hofstaat Abd-
el-Kader's. Das Bild ist eines der umfangreichsten Staf-
feleigemälde unserer Zeit und stellt die Wegnahme des
ganzen Lagers und Hofes Abd-el-Kaver's durch die fran-
zösische Reiterei dar, welche glänzende Waffenthat den 16.
Mai 1843 erfolgte.

Vernct offenbart hier eine Gluth der Phantasie, eine
Größe und Lebendigkeit der Anschauung, eine Genauig-
keit der Sachkenntniß, eine Sicherheit des Griffels und
Pinsels, welche seinem Genius zu hohen, Ruhme gereichen.
Die heransprengendcn Reiterschaaren, der Schrecken und
Tumult im Lager, der Verzweiflnngskanipf Einzelner, die
zum Widerstande begeisternden Marabuts, die auf Dro-
medaren flüchtenden Weiber und Kinder, so wie eine Menge
minder bedeutender Gruppen und Figuren drücken auf das
Schlagendste und Ergreifendste die Idee des Schreckens, der
Bestürzung, des Ueberfalles, der Flucht aus. Einzelne
Gruppen sind von vollendet schöner Komposition, das Ganze
ist mehr ein Neben-Einander und Nach-Einander, als ein
Jn-Einander, das durch eine einheitliche Komposition streng
zusammengehalten, von einer bestimmten Hauptgruppe
beherrscht wäre. Wenn auch der Herzog von Aumale
formell den Gipfelpunkt bildet, so giebt es doch mehre
Gruppen, welche daö Interesse überwiegend in Anspruch
nehmen. Dem Bilde mangelt somit ein fester Halt- und
Ruhepunkt. Wir dürfen übrigens diesen Fehler dem Künst-
ler nicht zu hoch anrechnen, da theils die Räumlichkeiten
in Versailles das genaueste Maaß bestimmten, vor Allem
aber die Ueberstimmung mit allen übrigen Gemälden in
diesen beiden Sälen die Kleinheit, mithin also auch die
Fülle der Figuren erforderte. Das weitgedehnte, chklora-
matische Bild hat somit etwas Reliefartiges erhalten. Daß
alles Dies auch auf das Kolorit keinen günstigen Einfluß
haben und zu keinem festen und wirksamen Abschuß füh-
ren konnte, liegt auf der Hand. Die Durchführung ist
vielmehr von einem Ende bis zum anderen eine gleichmä-
ßige und auch gleichberechtigte, da sich die ganze reiche,
kriegsdramatische Handlung in gleichen Lokal-, folglich auch
in gleichen Größenverhältnissen vor uns entfaltet. Die-
ser Mängel ungeachtet darf die Kritik de» vielen einzel-
nen Schönheiten dieses gigantischen Werkes ihr Auge nicht
verschließen. Es war im „Salon" ausgestellt im Jahre
1845. Außer der „Smala" ist das kritisch bedeutsamste
dieses afrikanischen Chklus „die Erstürmung von Konstan-

tine." Wer in der Welt vermöchte wahrer, lebendiger,
gewaltiger, erschütternder dieses moderne Heldenthum, diese
„Furie francaise“, diesen ritterlichen Enthusiasmus zu
malen, als Vernet. — Auch müssen wir hier noch ans
zwei wichtige Dinge besonders aufmerksam machen, welche
allen seinen derartigen Werken einen so hohen Werth und
Reiz verleihen, nämlich auf die genaueste Kcnntniß des
ganzen militärischen Wesens und Rüstzeugs, sowie auf
die erstaunliche Fülle von Portraitsiguren.

Doch verlassen wir Schlacht und Feldlager, um uns
nicht zu wiederholen, und wenden uns seinen orientalischen
Bibelbildern zu, als deren bedeutsamstes allgemein bekannt
ist: „Judith, im Begriff den Holofernes zu tödten." Wa-
rum der Künstler die alten Traditionen in diesen Formen
vorträgt, haben wir bereits angeführt, anö seiner Ueber-
zeugung nämlich, daß diese Formen ebenso alt seien, wie
wie die Traditionen selber, und daß man daher gar kei-
nen Grund habe, erst Kunstformen für sie zu erfinden
oder antiker sich zu bedienen. Vernet, vorzugsweise
mehr der Stimme der Wahrheit als der Dichtung folgend,
sieht vor Allem auf Treue und Strenge des ganzen realen
Wesens. Seine „Judith" ist also nicht eine bleiche,
„klassische" Schöne von den Gestaden Venetias oder den
Ufern des Arno, sondern eine dunkelfarbige, feurige, rache-
glühende Maurin, wie sie in den Straßen Alexandriens
und Cairos wandeln; Holofernes nicht ein antiker Heros,
sondern ein Scheikh oder Emir aus den Wüsten Afrika's-
Wenn nun auch der Künstler in seinen Behauptungen und
den aus ihnen folgenden Knnstformen vielleicht zu weit
geht, besonders waö die Details anbetrisft, so ist doch
im Allgemeinen seine Auffassung ebensowenig von der
der historischen Kritik zu verwerfen. Es kommt vor Al-
lem darauf an, daß der ersteren ihr volles Genüge ge-
schieht, was sich mit dieser realen und nationalen Auffas-
sung sehr wohl vereinigen läßt, sobald sie eben nicht an
dem Kleinlichen, Zufälligen, Nebensächlichen haften bleibt,
sondern vor Allen, die Idee selbst zur Darstellung bringt.
Damit, daß sich für alle diese biblisch-hebräischen Histo-
rien in der Malerei ein gewissen Typus gebildet hat, darf
dieser nationalen Auffassung und Form die Berechtigung
keineswcges abgesprochen werden. Wiederholen müssen wir
noch zur richtigen Beurtheilung Veruet's, daß er, nach
seiner Ueberzeugnng und Erfahrung, durch die Benutzung
dieses nationalen Elements das Alttestamentarische nicht
moderuisirt, sondern vielmehr, der künstlerischen Willkür
gegenüber, dem Althistvrischen erst wiederum zu seinem
Rechte verhelfen hat. Was nun das Bild selbst anbetrifft,
so haben wir noch beizufügen, daß die Auffassung dessel-
ben, ein gewisses theatralisches Pathos ungeachtet, groß,
edel und episch ist. Bei aller Gluth der Leidenschaft das
strengste Maaßhalten. Kein Blutfleck besudelt diese Ju-
dith, wie so viele der älteren Meister. Kolorit und Tech-
nik zeigen uns die Meisterhand. Das Gemälde ist vom
Jahre 1831 und befindet sich in dem kaiserlichen Museum.

(Schluß folgt.)
 
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