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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0070

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merkt man in ihrer geschichtlichen Genesis ein stetes Abneh-
men des Elements der Schwere und ein entsprechendes Zu-
nehmen des geistigen Elements. Das erste Stadium die-
ses Processes ist die Epoche der Architektur: hier bedarf
das Geistige zur Verwirklichung des massenhaftesten und
schwersten Materials; dann folgt die S kulptur, in welcher
Idee und Stoff gleich in's Gewicht fallen; endlich die Ma-
lerei, durch welche das idelle Moment zu einer ungleich
höheren Bedeutung über das materielle gehoben wird.

Dies sind die sogenannten bildenden Künste, die
Künste des Auges, der Anschauung. Ein weiterer Fort-
gang nun, da jene dreifache Stellung mit ihnen erschöpft
ist, kann nur durch den Uebergang zu einem andern Ge-
biet und zwar in der Art statt haben, daß diese dreifache
Stufenfolge der bildenden Kunst als eine gemeinsame
Sphäre gesetzt und von ihr als von einer ersten, wenn
auch mehr umfassenden, Phase zu einer höhern zweiten
fortgegangen wird- Diese ist die Musik, welche uns aus
der Welt des Auges in die des Ohrs, eines bei weitem
feineren, geistigeren Sinnes, hinüberleitet. Die dritte
Stufe endlich und die höchste, welche in der Kunstentwick-
lung überhaupt zu erreichen möglich, ist die Po esi e, welche
selbst den Ton von seinem musikalischen, d. i. natürlichen,
Element befreit und sich als Gestaltungsstofss nur des ge-
danklichen, nämlich menschlich-artikulirten Sprachlauts be-
dient. Als rein gedankliches Mittel ist der artikulirte Spach-
laut deshalb zu betrachten, weil er sich, wenn auch gemischt
oder begleitet mit dem natürlichen (musikalischen) Element
des phonetischen Rythmus, doch nicht bloß an die Em-
pfindung und Phantasie, sondern auch an den Verstand
und die Reflexion wendet.

Die drei Stufen der bildenden Kunst, auf welche
ich mich hier, in Rücksicht auf unfern Zweck, zu beschrän-
ken gezwungen bin, entsprechen nun genau den drei großen
Entwicklungsphasen des Orientalismus — des Helle-
nismus— und des germanischen Christenthums,
indem die orientale Kunst wesentlich Architektur, die
hellenische wesentlich Skulptur, die romantische
wesentlich Malerei war. Ich muß hier jedoch dem Ein-
wurf begegnen, daß die oben genannten Künste, Musik
Poesie miteingeschloffen, fast bei allen Völkern, selbst den
roheren, zu gleicher Zeit existirt haben. Dies ist allerdings
richtig, allein es leuchtet zugleich ein, daß es hierbei we-
niger auf diese Künste selbst, d. h. auf ihr formelles Vor-
handensein, als auf ihren ideellen Inhalt ankommt, den
sie zur Darstellung brachten, und auf ihre charakteristische
Form, in welcher fick» derselbe gestaltet zeigt. Die helle-
nische Poesie z. B. ist, wie alle Künste der Hellenen, we-
sentlich plastischer Natur, weil das Element des Plasti-
schen das eigentliche Wesen des Hellenismus ausmachte.
In demselben Sinne ist die allgemeine Gestaltung des
romantischen Empfindungslebens wesentlich malerisch,
und dies malerische Element findet sich in der romantischen
Kunst überall, in der Baukunst nicht minder wie in der
Poesie u. s. f.; gleicherweise endlich ist die orientalische
Kunstauschauung, ihre Poesie, massenhaft architektonisch
und stofflich schwer.

1. Was zunächst die Architektur betrifft, welche ich
kurz in ihrer dreifachen Stufenfolge des orientalischen,

hellenischen und romantischen Baustils betrachten will, so
erscheint sie im Orientalismus als Hauptkunst.

a. Das Princip des Orientalismus, welches ich als
die Herrschaft des Stofflichen bezeichnete, führt durch die
Forderung, das Endliche soll zum Unendlichen werden, wie
ich im ersten Abschnit darzulegen versuchte, zu nichts als
zu einem materiellen Hinausgehen über die räumlichen und
organischen Gesetze der Natur. Aber mit der einfachen
Aufhebung des Naturgesetzes allein ist noch nichts für die
Befreiung des Geistes von der Materie, selbst nickt ein-
mal für die Begeistigung der Materie gethan, wenn nicht
ein höheres vernünftiges Gesetz an dessen Stelle gesetzt
wird. Es herrscht daher in der ganzen orientalischen Kunst,
wie ich bereits bemerkte, ein Abschweifen in's Abnorme,
Kolossale, stofflich Großartige — wenn man will —, das
aber Loch geistlos und unfrei und darum auch unschön
wird. Die Orientalen fühlten zwar, daß der Geist mehr
sei als die Natur, aber indem sie dies Mehr in der Em-
pfindung zu erfassen und künstlerisch zu verwirklichen streb-
ten, faßten sie es nur stofflich, quantitativ, durch Vergröße-
rung der Naturverhältnisse, oder indem sie die Elemente
der Natur auseinander- und nach einem abstrakten, ihr
widerstrebenden Gesetz wieder zusammenwarfen, ohne also
den Boden der Natur zu verlassen. Die Quantität, als
Masse und Menge, spielt dabei natürlich eine Hauptrolle.
So entstanden die kolossalen Pyramiden, deren quanti-
tative Erhabenheit in keinem Verhältniß stand mit der
Bestimmung, im Innern eine Kammer für ein Königs-
grab abzugeben, die Labyrinthe, unterirdische Schlösser
mit mehr als tausend Gemächern, die Sphinxe, aus
Theilcn des Menschen, Löwen und Adlers zusammenge-
setzte Gebilde, die Obelisken u. s. f. In allen diesen
Bildungen kann es die Religions- wie die Kunstanschauung
höchstens bis zu einer ganz äußerlichen Beziehung auf den
Geist bringen, d. h. bis znm Symbol. Das Symbol
nämlich ist nicht selber schon eine Verwirklichungsform der
Idee, sondern deutet nur eine Beziehung auf sie an. Da-
rum ist die ganze Religions- und Kunstentwicklung des
Orients wesentlich symbolisch, scheinbar geheimnißvvll,
weil der Stoff nickt ohne Weiteres als Stoff, sondern in
seiner Beziehung zur Idee gelten soll, aber, da die Idee
selber nicht zum Vorschein kommt, geistlos und unschön.

Die symbolische Kunstform ist somit als der An-
fang der Kunst überhaupt zu betrachten: sie ist das erste
Drängen der Idee nach Ausdruck.

Die Architektur nun — und zwar nicht in ihrer
Zweckhaftigkeit, Wohnungen, sei es für Menschen oder
Götter, zu schaffen, sondern in ihrer anfänglichen abstrak-
ten, ganz äußerlichen Beziehung auf die Idee — ist die-
jenige Kunstthätigkeit, welche sich schon ihres Materials
wegen für die symbolische Kunstform am passendsten er-
weist. Sie verarbeitet die träge Masse, welche wesentlich
durch ihr stoffliches Gewicht und ihre räumliche Ausdeh-
nung imponirt, zu einem äußerlichen Zeichen der Idee, da
die ädaquate Gestalt derselben außerhalb ihrer Grenzen
liegt. Sofern nun in dieser Eigenschaft des Jmponircns
durch die Masse, d. h. durch die quantitative Erhabenheit,
der Orientalismus eine geistige Bedeutung zu finden glaubte,
so bildeten die orientalischen Völker ihre Vorstellungen vom
 
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