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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0094

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wesentlich malerisch erkannt. —

Mit der Architektur und Plastik haben wir also ab-
geschlossen. Die weitere Entwicklung, d. h. die Ausbil-
dung des künstlerischen Princips bis zur Kulminirung des-
selben kann also nur noch auf dem Gebiete der Malerei
verfolgt werden. Indem ich nun versuchen will, diesem Ent-
wicklungsgänge und seiner inneren Nothwendigkeit der
Erscheinungen zu folgen, kann ich nicht umhin, auf eine
eigenthümliche Erscheinung aufmerksani zu machen, welche
ein merkwürdiger Beweis für die innere Logik der geschicht-
lichen Entwicklung ist, nämlich auf die bereits beiläufiig
erwähnte Aehnlichkeit, welche zwischen dem Mittel-
alter und dem Orientalismus gegenüber dem Helle-
nismus obwaltet, ich meine jenes Gepräge des Schmerzes,
das beiden aufgedrückt ist. Ist auch der Grund dieses
Schmerzes ein verschiedener, nämlich im Orientalismus
das Leiden des Geistes, welcher von der Wucht der Ma-
terie niedergedrückt wird, im Mittelalter dagegen die Qual
der Materie, das Nervenzucken des Fleisches, welches sich
gegen die Vernichtung durch den sich freimachendcn Geist
sträubt: so haben doch die Erscheinungsformen dieser
Schmerzhaftigkeit ein ähnliches Gepräge. Im Zusammen-
hänge damit steht der wiederauftauchende Mysticismus und
die abergläubische Geheimnißkrämerei aller Art, die das
Mittelalter mit dem Orientalismus ebenfalls gemeinsam
hat, endlich, nach der Seite der religiösen Kunst, be-
sonders die Obergewalt, welche das Symbol wieder erhält.
Denn die ersten christlichen Kunstdarstellungen waren nichts
weiter wie symbolisch: der Name Christi als Monogramm,
der Fisch (im Griechischen (ix&*>s) ein Wort, dessen Buch-
staben die Anfangsbuchstaben eines Satzes bildeten, wel-
cher „Christus als Sohn Gottes und Weltheiland" be-
deuten sollte), das Lamm (das unschuldige Leiden persoui-
ficirend), der Hahn (an Petrus erinnernd), das Kreuz in
den verschiedensten Formen, die Marterwerkzeuge u. s. f.
Darstellungen der Gestalt Christi und der Apostel selbst
finden sich erst viel später. Vielleicht trug auch die Nähe
des Orients — denn in der byzantinischen Kunst war
diese Symbolik hauptsächlich kultivirt — dazu bei, dieser
Neigung für das Symbol Nahrung zu geben. Genug,
die ersten Kunsterscheinungen des Mittelalters erinnern in
vielfacher Beziehung an die orientalischen Kunstanschauungs-
weise.

Gehen wir nun über den Orientalismus und das Mit-
telalter hinaus, so finden wir wieder einen ähnlichen
Parallelismus zwischen dem Hellenenthum und der
klassischen Zeit der romantischen Kunst unter
Raphael und Dürer. Es erklärt sich dies naturgemäß
daraus, daß, wie im Hellenismus der Geist aus der Disic-
renz zur Versöhnung gelangte, so auch im Raphaclischcn
Zeitalter die Differenz des Mittelalters gelöst wurde. Diese
Versöhnung des Geistes mit der Natur, die den künstle-
rischen Umschwung des 16. Jahrhundert charakterisirt, stellt
sich zugleich als ein gewaltiger Aufschwung in der künst-
lerischen Production dar, dessen wunderbare Kraft der
Begeisterung von einer Freudigkeit und Mächtigkeit des
Schaffens dnrchglüht war, welche der Blüthezeit der ro-
mantischen Kunst ein ähnliches Gepräge verleiht, wie dem
klassischen Hellenismus.

Wie in der Religion durch die Reformation, so
vollendet sich somit auch in der Kunst die Versöhnung des
Geistes mit sich selbst, die hier geradezu als eine Rückkehr
zum Idealen bezeichnet werden kann, und die dem Ra-
phael-Dürer'schen Zeitalter, wie schon bemerkt, den
Schein einer fast antiken Glückseligkeit verleiht.

Aber wie das Mittelalter — trotz jener äußerlichen
Aehnlichkeit in den Erscheinungsformen der Empfindung
— hoch über dem Orientalismus steht, so erhebt sich die
klassisch-romantische Zeit in Rücksicht auf die Rolle, welche
der Geist darin gegenüber allem Naturhaften spielt, hoch
über den klassischen Hellenismus. Religion und Kunst
gehen zwar ebenso im Oricntalismus und dem Mittelalter,
wie im Hellenismus und der romantischen Klassicität noch
immer Hand und Hand und dienen einander, aber die
Beziehung der beiden verschwisterten Elemente ist nun eine
umgekehrte geworden. Die Hellenen vermenschlichten
das Göttliche, indem sie den Geist in die Natur aufgehen
ließen und diese dadurch begeistigten, beseelten, während
in der romantischen Klassicität umgekehrt das Menschliche
als das Göttliche erkannt wird. Die Griechen stellten
ihre Götter als Menschen — allerdings in idealer Rein-
heit der Form — aber doch als partikuläre, mit mensch-
lichen Leidenschaften behaftete Individuen dar; die Ro-
mantiker der Blüthezeit stellten Christus als den Sohn
Gottes, also als den göttlichen Menschen, die Madonna
als die Mutter des Gottmenschen dar, sie erhoben also
das Menschliche zum Göttlichen. — Dies ist der ungeheure
Fortschritt von der hellenischen zur romantischen Kunstan-
schauung. Stellt man von diesem Gesichtspunkt das hel-
lenische Ideal dem romantischen gegenüber, so tritt für
unser Gefühl bei aller Bewunderung der hellenischen Ge-
staltungSform, als der im eminenten Sinne schönen,
doch zunächst der Mangel zu Tage, daß wir vor den
Götter-Individuen der Griechen keinen andern Respekt
haben, als etwa vor einer Potcnziruug des natürlichen
Menschendaseins; cs fehlt ihnen jene Reinheit göttlicher
Existenz, die den christlichen Begriff des Heiligen aus-
macht. Zweitens, von Seiten ihrer künstlerischen Jndi-
vidualisirung, fehlt ihnen das Moment der Innerlichkeit:
sie sind leer, weil geistlos, kalt, weil herzlos — und des-
halb lassen sie auch kalt. Man hat den Umstand, daß
die antike Kunst ihm Göttergestalten blicklos — ohne
Andeutung der Pupille — darstellte, auf mannigfache Weise
zu erklären gesucht, ja darin sogar eine Andeutung ihres
erhabenen göttlich: n GstaraUters finden zu müssen vermeint.
Mir scheut diese körperliche Blicktostipkeit mit der inner»
Geist- uw Herzlosigkeit identisch und der u.nbewußte Aus-
druck 'ersclben zn sein. Man betrachte einen Asiwll oder
Imster neben einem aufcrstandcncn Christus von Raphael,
ei,e Venus neben einer Madonna: welch ein Unterschied'!
Die herrlichsten Formen können uns für die Abwesenheit
bi? seelischen Ausdrucks, die reizvollste, korrekteste Gestalt
nichl für den Mangel an Innigkeit entschädigen. — Und
ein Wort ist es, ein welterschüttcrndes, allgewaltiges —
was die Kluft zwischen dem antiken und dem romantischen
Ideal aupeißt: die Liebe. Nicht jene Liebe, wie sie die
Griechen vrstanden, der verschönerte Naturtrieb, sondern
die Liebe, wöche die Welt schuf und erhält, die aufopfernde,
 
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