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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0158

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quate bildnerisch-künstlerische Form zwängen, oder vielmehr
letztere jenen Ideen als äußerliche Zeichen, als bloße
Symbole anheften. Die Beschreibung solcher „künstle-
rischen" Darstellung ist dann gewöhnlich poetischer als Las
Werk selbst; natürlich, weil es eben Wort-Poesie ist, was
hier in die Anschauung tritt. Fast alle Illustrationen und
Bilder nach Gedichten leiden an diesem Grundfehler. Wenn
uns solche Werke, wenn sie sonst geschickt gemacht sind,
poetisch berühren, so ist die Ursache davon nicht die bild-
nerische Poesie, nicht die malerische oder plastische
Schönheit der selben, sondern vielmehr die Poesie und
Schönheit des Originals selbst, der Dichtung, die als Re-
miniscenz harmonisch uns anklingt.

Noch weiter wird die Kluft zwischen Inhalt und Form,
wenn es nicht einmal poetische Gedanken, sondern kunst-
oder kulturhistorische, philisophische u. s. f. sind, die in
einer ihnen dann doppelt unädäquatcn bildnerischen Kunstsorvi
zur Anschauung gebracht werden, wie in den Kaulbach'-
schen Wandgemälden Münchens und Berlins. Ich habe
Kaulbach eine „lebendige Satyre auf den Meister Corne-
lius" genannt und fühle mich veranlaßt, diesen hartklingen-
den Ausspruch zu motiviren. Ich verkenne die Bedeutung
Kaulbachs keineswegs; ja, ich erkenne mit aller Achtung
vor seinem großen, wenn auch nicht von Frivolität freien
Talent an, daß er zu den wenigen deutschen Künstlern ge-
hört, die eine Ahnung von dem letzten Ziel der modernen
Kunstentwicklung haben, nämlich daß die Aufgabe darin
bestehe, das allgemeine Menschenthum zu veranschaulichen.
Negativ hat er diese Ahnung bethätigt in seinen Satyren
gegen die bornirle Besonderung jdes akademische Zopf-
thums, positiv in seinen kulturhistorischen Bildern im
Neuen Museum zu Berlin. Denn daß darin die Tendenz
sich offenbart, eben das allgemein-Menschliche in seiner
Gesammtentwicklung zur Anschauung zu bringen, kann wohl
keinem Zweifel unterliegen. Aber er hat keinen Glau-
ben an seine Aufgabe und kein rechtes Herz dafür gehabt:
dies beweist zunächst der Umstand, daß er nur einen
Anlauf dazu genommen, in den beiden Bildern: „Der baby-
lonische Thnrmbau" und „Die Blüthe Griechenlands" nebst
den dazu gehörigen Seiten- und Arabeskenbildern. Denn
alle andern Gemälde verdanken ihre Entstehung zufälligen,
außerhalb dieser Aufgabe liegenden Umständen; namentlich
die ganz und gar nicht in diesen Cyklus gehörende „Hun-
nenschlacht," die bereits als Komposition (für den Grafen
Raczynski) fertig war, ehe an die Ausmalung des Mu-
seums gedacht wurde; ebenso „die Zerstörung Jerusalems",
die ebenfalls lauge zuvor aus Bestellung einer polnischen
Gräfin gemalt worden war. Aber als praktischer Mann
hat Kaulbach diese Bilder, da sie einmal vorhanden wa-
ren — mochten sie nun passen oder nicht — benutzt und
so, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, zwei Fliegen
mit einer Klappe geschlagen. Wenn er somit die ideelle
Einheit des Gesammtcyklus seiner Kompositionen, wodurch
er sich einen rein glänzenden Künstlernahmcu hätte für
alle Zeiten schassen können, gleichviel welchen anderweitigen
Gründen zum Opfer bringen konnte, so haben wir ein
Recht, diesen Abfall von dem einheitlichen Plan als eine
künstlerische Frivolität zu kennzeichnen. Denn dem Künst-
ler muß feine Idee über Alles gehen, er darf seine schöp-

ferische Phantasie weder zur „melkenden Kuh" nock zur
„dienenden Magd" herabwürdigen. — Und grade ihm,
Kaulbach, möchte dergleichen um so weniger zu ver-
zeihen sein, als ihm, wie bemerkt, in der That einee
Ahnung von der höheren Bestimmung der Kunst der
Zukunft anfgcgangcn war. Wenn ich deshalb seine Ma-
lereien dieser frivolen Nebenbeziehungen wegen als Sa-
tyren aus die aus dem tiefsten sittlichen Ernst und einer
fast prophetisch erhabenen Größe der Anschauung hervor-
gegangenen Kompositionen von Cornelius betrachte, so
dürfte diese Bezeichnung wohl in mehr als in einer Rück-
sicht gerechtfertigt erscheinen. glicht die Bnlgivaga, son-
dern die Urania ist die wahre Göttin der Schönheit, wie
sie als ideales Symbol dem Streben des echten Künstlers
vorleuchten muß.

Aber hätte selbst Kaulbach sich dieses Abfalls nicht
schuldig gemacht, wäre er — wie in dem leitenden Gedanken
des Kinderfrieses — so auch in dem Gesammtcyklus der
großen Gemälde der Grundidee treu geblieben, so wäre
das Ganze dennoch immer als eine große Verirrung zu be-
trachten. Jetzt freilich, wie die Sache liegt, kommt zu der
künstlerischen Verirrung noch die künstlerische Versündigung
hinzu.

Diese Verirrung nachzuweisen, ist für unser Thema
von priucipieller Wichtigkeit, denn cs ist nicht zu leugnen,
daß selbst in dieser Verirrung ein tiefer und unbefangen
blickendes Auge deutlich die dunkle Ahnung von der gro-
ßen Aufgabe erkennt, welche die Kunst der Zukunft zu
lösen hat; jene Ahnung: daß es sich nunmehr um die
allgemein-menschliche Kunstanschauung handele
und um die Nothwendigkeit, dieser eine adäquate Gestal-
tungsform zu schaffen.

Bei diesem Punkt müssen wir einen Augenblick verweilen.

Die Forderung ist: der Gegensatz und Widerspruch
zwischen dem Spiritualismus der spccifisch-christlichcn Kunst
und deni Naturalismus der trivialen Besonderung des
Inhalts, wie er sich in der Genremalerei der Nieder-
länder offenbarte, soll aufgehoben und versöhnt wer-
de». I» dieser Versöhnung erhält der bis dahin ein-
seitige, weil mit der Voraussetzung der religiösen Form
behaftete „Spiritualismus" die berechtigte Stellung eines
gesunden Idealismus und ebenso der triviale, bornirte
und daher geistlose „Naturalismus" die ebenfalls berech-
tigte Stellung eines gesunden Realismus. Idealismus
und Realismus bilden, wenn auch einen Gegensatz, dock
keinen Widerspruch mehr» da jeder den andern als noth-
wendiges Moment in sich enthält. Denn eben nur durch die
Abstraction von der Realität wird der Idealismus zum
abstrakten Spiritualismus, wie durch die Abstraction von
der Idealität der Realismus zu einem ebenso abstrakten,
d. h. bornirlen Naturalismus.

Idealismus und Realismus bilden, wie ich bemerkte,
einen Gegensatz, aber einen berechtigten. Alle absoluten
Ideen treten bei ihrer konkreten Gestaltung in einem solchen
lebendigen Gegensatz auf, dessen Einheit eben die Idee ist.
Zum Beispiel die Idee des Menschen ist eine einfache;
allein in der konkreten Gestaltung tritt sie sofort als Ge-
gensatz zwischen Mann und Weib auf. Der Mensch als
solcher existirt nickt, sondern er existirt nur entweder als
 
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