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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0183

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167

Realismus eines Delaroche und seiner zahlreichen Schü-
ler wird immer mehr durck den Naturalismus eines Cour-
bet, Couture,Huet, Corot und ihrer Nachahmer ver-
drängt. Durch Effekte zu glänzen ist der Hauptzng der neu-
sten künstlerischen Bestrebungen. Die Zahl kleiner Sekten,
die nicht durch neue Kunstregeln, sondern durch Behand-
lung derselben Stoffe sich bemerklich machen und deshalb
mit einer Art von Spottnamen belegt werden, nimmt mit
jedem Jahre zu. So z. B. heißen „die schwindsüchtigen
Maler" diejenigen, welche Höbert's kränkelnde italienische
"Gestalten nachahmen; solcher kleiner Mädchen sind etwa ein
halbes Dutzend mit de» wohlklingensten Bezeichnungen aus-
gestellt. Ferner untersckeidct man „les peiutros en gris“, bei
denen die graue Farbe in manierirter Weise hervortritt,
„los peintrvs fantaisistes“, Maler, die das Landvolk stets
in Lumpen gehüllt darstellen, u. A. Aufsehen erregen ist
in Paris schon ein halber Erfolg, und um dies zu errei-
chen, verliert sich selbst die Kunst in Excentritäten und
Frivolitäten. Die sogenannte öeole iröogreeque hat lange
Zeit Gegenstände in naturalistischem Stile mit großem
Erfolge behandelt; ihr Führer Görüme hat diese Rich-
tung indes; vorläufig wenigstens aufgegebeu, und seitdem
verlieren sich die Nachahmer. Dafür mehrt sich der Kreis
der sogenannten Maler des Orients, und die ethnographi-
sche Schule, welche die Landschaftsmalerei mit dem Genre
verbindet. Die Versuche, Scenen des häuslichen Lebens
in gemüthvoller Form darzustellen, glücken selten; dem
Franzosen fehlt der Sinn und das Berständniß des Fa-
milienlebens. Die Landschaftsmalcrci sucht, so weit sie
sich nicht in den Orient flüchtet, ihre Stoffe größtcnthcils
in der nächsten Umgegend von Paris; die Bilder machen
daher auch oft den Eindruck von Reminiscenzcn einer Land-
partie. Der französische Landschaftsmaler lebt wenig in
der Natur, daher dieser größere Mangel an Naturwahr-
heit als bei den Landschaftsmalern Deutschlands, Hollands
und selbst Englands; seine Farbencffekte sind mehr Ge-
bilde einer künstlichen Phantasie als der Ausdruck der
Wirklichkeit.

Die Portrait Malerei ist durch die Vervollkommnung
der technischen Gewandheit und des Kolorits wesentlich
gefördert worden; sie ist von allen bedeutenden Malern
der neuere» Zeit wie Ingres, Schcffer, Dclarochc,
Horace Vernct und A. mit Vorliebe behandelt wor-
den, und überdies die unentbehrliche Grundlage, um i»
dem militairisch-historischen Genre zu glänzen. Ihr wid-
nien sich daher alle jüngeren Kräfte mit besonderem Eifer.
Die ausländischen Portraits können mit den französischen
in scharfer Auffassung der Individualität nicht konkuriren;
in diesem Fache schließen sich alle Künstler den besten Vor-
bildern an, und lassen sich nicht durch eine Winterhalter'sche
Geschmacksrichtung, die trotz der großen Erfolge in den
höchsten Kreisen völlig isolirt dasteht, beirren.

Die Werke der Skulptur konnten nicht günstiger aus-
gestellt sei», als unter dem immensen Glasdache des Pa-
lastes zwischen Blumen und Vasen; die weißen Marmor-
glieder erhalten dadurch ein Leben, das ihnen der Künstler
in übergroßem Streben nach klassischer Strenge der For-
men oft nicht vermocht hat zu geben. Dennoch ist cs au-
zuerkennen, daß die französische Skulptur trotz des Man-
gels an hervorragenden Führern die Traditionen der
David und Pradier streng bewahrt und sich vro
der naturalistischen Richtung der Malerei bewahrt hat.
Fast alle bedeutenderen Künstler haben an dem Wettkampfe
Theil genommen. Die Versuche, der Skulptur eine volks-
thümliche Grundlage zu geben, scheinen aber nicht glücken
zu wollen; um eine realistische Richtung, die dafür unbe-
dingt nöthig ist, mit Glück einschlagen zu können, muß der
Künstler die idealen Formen nicht bloß nachzuahmen ver-
stehen , sondern ganz von ihnen durchdrungen sein, und
dies gelingt nur den Heroen der Kunst.

I. H i st o r i e n m a l er c i.

Unter den wenigen historischen Bildern zeichnet sich „Der
Tod Heinrichs III. von Merle" durch treffende Charakte-
ristik der Persönlichkeiten aus; das Ereigniß selbst und die
Stimmung der verschienenen Figuren treten scharf hervor.
Die Wirkung ist um so größer, weil nirgends das richtige
Maaß überschritten ist; das Interesse der Handlung drängt
wohl nach der Person des Königs hin, doch ist diese nicht
in den Mittelpunkt gestellt, und cs entstehen durch diesen
Mangel an einheitlicher Komposition zwei Bilder, auf der
einen Seite der in die Arme seiner Hofleutc sinkende Kö-
nig, aus der andern der in das Zelt tretende Henry le
Böarnais und sein Gefolge. Ein Fehler ist es ferner, daß
der Maler zwischen diese beiden Gruppen, also in der
Mitte der Scene den Leichnam des Mörders gelegt. Es
doknmentircn sich in diesem Gemälde die Vorzüge und
Mängel der neueren Richtung in auffallender Weise: große
technische Vollendung in der Zeichnung und dem Ausdruck
der einzelnen Gestalten, sowie eine glückliche Beherrschung
des Kolorits, aber zugleich ein vollständiges Fehlgrcifen
in der Komposition. — „Der Schwur des Brutus" von
Delannay bekundet, daß die französischen Maler bei Be-
handlung klassischer Stoffe sich noch nicht von dem hergebrach-
ten Stile der David'schcn Schule haben frei machen können.
In der steifen, theatralischen Haltung des mit erhobenem
Dolche schwörenden Brutus, den matten Farben und dem
unwahren Faltenwürfe der Gewandung leben die Fehler
jener Aftcr-Klassicität wieder auf.

II. Religiöse Malerei.

Wenn man die Bilder durchgeht, welche religiöse Ge-
genstände behandeln, so möchte man fast glauben, daß ein
großer räumlicher Umfang ein unbestrittenes Recht
zur Zulassung gicbt; anders ist die Anwesenheit einzelner
dieser Gemälde nicht zu erklären. „Christus ans dem Meere
wandelnd" von Ja labert ist eins der wenigen Gemälde,
die nicht blos künstlerisch ansgcfllhrt, sondern auch in re-
ligiösem Gefühle gedacht sind. Das Meer geht hohl, der
Himmel ist schwarz, die Jünger sitzen angsterfüllt in dem
schwankenden Fahrzeuge, durch die dunkle Nacht schreitet
Jesus, umgeben von einer Strahlenkrone, welche die Wel-
len aufblitzen macht, über die wogende Flnth hin. Hier
verbindet sich Jngrcs'sche Romantik mit Delacroix'schem
Kolorit zu einem vollendeten Kunstwerke. — Ein eben-
falls glücklicher Anklang an die romantische Schule von
Ingres bekundet sich in zwei Bildern von Brömond:
„Christus als Tröster" und „Christus und die Kinder."
Einzelne Figuren erinnern in dem scclcnvcllen Ausdruck
au Raphael'fche Gestalten; aber die mangelhafte Gruppi-
rung stört den Gesammtcindruck der Bilder. — „Die hei-
lige Familie" ist ein vielfach versuchtes Thema, aber nur
Bo uguereau ist es gelungen, daffelbe würdig darzustcllcn.
— „Christus erweckt die Tochter des Jairus" von Quan-
tin. Wir sehen hier nicht wie in dem Richtcr'schcn Bilde
die hingestreckt liegende Todte plötzlich Leben gewinnen,
sondern die bereits erweckte sitzt mit grauenhaft lcicheu-
farbigem Gesichte aufrecht da und starrt bewußtlos in die
Ferne. Die ausdruckslose Gestalt des Erlösers und die
aus dem Hintergründe herbeieilenden Eltern sind ebenso-
wenig geeignet, das Sujet verständlich zu machen. Man
muß es kennen, um zu crrathcn, was der Maler hat aus-
drücken wollen. Ein mattes Kolorit vermehrt die Nüch-
ternheit der Darstellung. — Mehrere „Christus am Kreuz"
gehen entweder in dem Ausdruck dcö Schmerzes über die
Grenzen des Schönen hinaus, oder sie entbehren jedes
Ausdrucks. Die grellen Blutlachen, welche auf den Steinen
unter dem Kreuze in allen Darstellungen hervortreten, sind
gradezu widerlich. — Den vielen Bildern, welche die Mär-
tyrcrgcschichtc behandeln, ist nur zu wünschen, daß sic ihren
Platz in wenig erleuchteten Kapellen finden mögen.

(Fortsetzung folgt.) IIK.
 
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