Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 8.1863

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13517#0294

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
278

Ctu

■J

Richtung des jungen Künstlers eine gewisse officielle An-
erkennung verschaffte, und später gab derselbe als Minister
dem von ihm richtig erkannten Talente reichlich Gelegen-
heit, sich in öffentlichen Arbeiten geltend zu machen.

„Das Massacre von Scio", welches in der Wahl des
Stoffes ebenso dem Pinsel Delacroix's wie der in jener
Zeit (1824) herrschenden Begeisterung für die Wiederge-
burt Griechenlands entsprach, befestigte seinen Nus wesent-
lich. In schneller Folge stellte er nun aus: „Christus
auf dem Oelberge", „Der Tod des Bischofs von Lüttig",
„Medea", „Der Gefangene von Chillon", „Marino Faliero",
„Griechenland auf den Trümmern von Missolounghi" u. A.
Nach seiner Rückkehr ans dem Orient erschienen: „Die Kon-
vulsionäre von Tanger", „Die jüdische Hochzeit", „Die
Frauen von Algier" u. A. Die bedeutendste Seite seines
Talents aber zeigte Delacroix in den großartigen Wand-
malereien, mit denen er den Thronsaal des Palais lcgis-
latif, den Apollcsaal im Louvre, den FriedenSsaal im
Hotel cko Ville, die Räume des Luxembourg und viele
Kirchen und Kapellen schmückte. Er verstand es meisterhaft,
die Wandmalerei mit der Architektur bei selbst ungünsti-
gen lokalen Verhältnissen in künstlerische Harmonie zu
bringen; aus diesem Gebiete zeigte sich die ganze Fülle seiner
schöpferischen Phantasie und dramatischen Begabung. Er
entnahm seine Stoffe aus der Geschichte und Sage aller
Zeiten und aller Völker, und behandelte sie niit strenger
historischer Wahrheit. Selten hat Delacroix zarte Re-
gungen des Gemüths zum Gegenstände seiner Darstellung
gewählt, seine Kraft lag in der dramatischen, leidenschaft-
lichen Action: Scencu aus Dantö's Hölle: „Ugolino",
oder „Hamlet auf dem Kirchhofe", „Valentin an dem Leich-
name Gretchens" u. A. schilderte sein Pinsel mit ergreifen-
den Zügen; daS Getümmel der Schlacht, die Leidenschaft
der Kämpfer, das Klingen der Schwerter und Stampfen
der Rosse sieht und fühlt man in seiner „Schlacht von
Taillcbourg." Den Wahnsinn hat er, vielleicht durch
jugendliche heftige Eindrücke angeregt — in Charenton
ist ein bedeutendes Irrenhaus — in den verschiedensten
Erscheinungen meisterhaft wiedergcgebcn. Der Vater des
Künstlers, Charles Delacroix, war unter dem Direk-
torium Minister der auswärtigen Angelegenheiten, und
die politische Ueberzeugung des Sohnes entsprach dieser
republikanischen Abstammung: im Jahre 1830 stellte
derselbe „Die Freiheit führt die Bürger zu den Bar-
rikaden" aus, die damalige Regierung kaufte das Bild
und wies demselben trotz seines bedeutenden künstleri-
schen Werthes einen bisher uncntdcckt gebliebenen Platz an.

Für alle Zweige der Kunst und Wissenschaft hatte
der Verstorbene ein tiefes Gefühl und Verständniß: in
der Malerei stellte er Raphael am höchsten, den er
einen „Maler-Poet" nannte, in der Musik verehrte er vor
allen Mozart, in der Literatur Moliöre und Racine. Die
endlosen Kämpfe und Anfeindungen hatten sein Gemüth
nicht verbittert, er war aufopfernd gegen Freunde und
bedürftige Kunstgenossen; die unbeugsame Kraft seines
Charakters zeigte sich in der Festigkeit, mit der er an de»
von ihm als richtig erkannten Kunstprincipieu festhielt, er
duldete lange Zeit lieber Entbehrung, als daß er seine
Ueberzeugung znm Opfer brachte; sein Sinn war streng

und stets auf das Edle und Schöne gerichtet, nie hatte
er dem schlechten Geschmacke des Publikums gefröhnt, oder
um den Beifall der großen Menge gebuhlt, nie haben
Gcldinteresseu den Künstler geleitet. Dumas erzählt in
seinen Memoiren von Delacroix u. a., daß ihm der-
selbe seinen „Marino Faliero" für den Herzog von Or-
leans für 2000 Franks überlassen habe, als er aber er-
fahren, daß das Bild nicht für den Herzog, sondern für
einen andern bestimmt sei, verweigerte er den Verkauf des-
selben selbst für 8000 Franks. Delacroix hatte jenes
seiner Meinung nach ungerechtfertigter Weise vielfach ge-
tadelte Gemälde, wie ein verkanntes Kind, besonders lieb
gewonnen, und wollte es nicht ohne die Gewißheit seiner
vollen Werthschätzung in fremde Hände übergehen lassen:
er hat sich deshalb nie von demselben getrennt. Auch als
Schriftsteller hat der Künstler durch seine Artikel in der
„Revue des Deux-Mondes" über Michel Angelo, Poussin,
Gericault u. a. sich verdient gemacht; er war gegen den
Ruhm und öffentliche Anerkennung nicht gefühllos und
verkehrte viel in der vornehmen Welt, bis ein Halsübel
ihn zum Einsiedler in seinem Hause und Atelier machte.
Trotz seiner Kränklichkeit während der letzten Jahre war
er unausgesetzt thätig und der Tod hat ihn bei großen
Arbeiten überrascht: „Botzaris überrascht das Lager der
Türken bei Sonnenaufgang" steht u. a. unvollendet auf
seiner Staffele!, seine Portefeuilles sind mit Skizzen und
Kopien alter Meister angefüllt, und werden mit den übri-
gen Werken, seiner letztwilligen Bestimmung gemäß, öffent-
lich verkauft werden. Erst spät sind dem Künstler die
verdienten offiziellen Auszeichnungen zu Theil geworden;
in Folge der allgemeinen Kunstausstellung von 1855 er-
hielt er die große Ehrenmedaille und 1857 trat er an
Stelle von Paul Delaroche in das Institut ein. —
Kein Künstler ist von seinen Zeitgenossen in höherem
Maaße überschätzt und unterschätzt worden, wie Dela-
croix, und cs ist nicht zu verkennen, daß die Eigcnthüm-
lichkeit seines Talents zu diesen ertremen Richtungen der
Beurtheiluugcn Veranlassung gegeben hat: seine Wider-
sacher stellten mit Recht der oft inkorrekten Zeichnung die
künstlerisch reinen Formen eines Ingres gegenüber, wäh-
rend die Jünger von Delacroix der steifen, an die Da-
vid'sche Klassicität erinnernde Weise jenes Meisters die
lebendig dramatische, poetische Komposition, und jener
pcinture Jn gris das glänzende Kolorit ihres Führers cnt-
gegenhielteu. Jn letzterer Beziehung mußten indeß auch die
Bewunderer von Delacroix zugcben, daß die Farbe,
welche nur das Mittel sein soll, bei ihm oft Ziel und
Zweck und der Haupteffekt des Werkes wurde. Daß er
hierin mitunter zu weit ging, möchte seine Erklärung und
thcilweise Entschuldigung darin finden, daß seine Vorgän-
ger und die Schule, welche er bei seinem Eintritte in die
Kunst tonangebend fand, in dem entgegengesetzten Extreme
der Koloritlosigkeit sündigten. Aus den Extremen heraus
pflegt das richtige Maaß sich erst festzustellen, und die
gegenwärtigen französischen Maler haben aus den Far-
benexcessen jenes Meisters dieselben vermeiden gelernt. Den
Streit der Kunstrichter: ob Ingres, ob Delacroix
größer sei, wollen wir nicht aufnehmen, sondern des Wor-
tes Goethc's gedenken, der über die Fehden, ob er oder
 
Annotationen