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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0371

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361

Jndeß scheint die Ueberzeugung des Verfassers des
Schreibens von der wirklich organischen Bedeutung des
Wäsemann'schen Projekts doch nicht ganz unbedingt ge-
wesen zu sein, da er unmittelbar darauf sich mit der Auf-
forderung an einige „hervorragende wissenschaftliche und
künstlerische Notabilitäten" wendet, „über den angeregten
Grundgedanken im Ganzen und in seinen ein-
zelnen Bestandtheilen, über die verschiedenen
Gruppirungen im Zusammenhänge mit dem
Ganzen und über die Benutzung der vorhandenen Räume
mit Rücksicht auf die künstlerische Harmonie und
Einheit ein selbstständiges und freies Urtheil zu
fällen, die Schwächen und Mängel anzudeuten und
Vorschläge zu machen, in welcher Weise das Ganze
oder die einzelnen Theile eine andere, ästhetisch ge-
rechtfertigtere Gestaltung gewinnen könnten."

Wir haben diese Stelle absichtlich hier vollständig wie-
dergegeben, weil wir daraus den Muth schöpfen, unsere
Ansicht über die ganze Frage und namentlich auch über
das Wäsemänn'sche Projekt mit voller Aufrichtigkeit und
Entschiedenheit auszusprechen. Die Sache an sich ist ohne-
hin eine viel zu wichtige, als daß hier die Besorgniß an-
zustoßen oder andere kleinliche Rücksichten irgendwie maaß-
gebend sein dürften. Außerdem hat Schreiber dieser Zei-
len als Mitglied der unter den Auspicien des Herrn Ober-
bürgermeisters vom „Verein für die Geschichte Berlins"
gewählten Begntachtungskommission, hinreichend Gelegenheit
gehabt, sich mit der Frage nach allen ihren praktischen wie
theoretischen Seiten eingehend zu beschäftigen, glaubt auch
als Referent genannter Kommission sein lebhaftes Interesse
für diese Angelegenheit genügend bekundet zu haben, um
das Recht, ja die Pflicht für sich in Anspruch nehmen zu
dürfen, seine Meinung ganz unverhohlen auszudrücken.

A. Das Wäsemann'sche Ausschmückungsprojekt.

Um eine feste Basis für die Beurtheilung desselben so-
wohl in Rücksicht auf die Gesammtheit der vorgeschlagenen
Motive wie auf ihre Disposition und Gliederung zu ge-
winnen, sind zuvor einige, bereits in dem Abschnitt
des Gutachtens: „Die principielle Seite der Aus-
schmückungsfrage" berührte fundamentale Gesichts-
punkte festzustellen. Mit Recht hat zuförderst die Kom-
mission") von vorn herein das Hauptgewicht auf die
künstlerische Seite der Frage gelegt, indem sie sagt:
„Die Kommission glaubte das Hauptgewicht nicht sowohl
auf die historische als auf die künstlerische Seite der Frage legen,
d. h. die künstlerische Darstellbarkeit der Motive und
ihre Fähigkeit, sich gemäß den verschiedenen Lokali-
täten in besondere Cyklen zu gliedern als erst es Prin-
cip ansstellen zu müssen." —

Das Zweite ist dann die schon erwähnte Nothwen-
digkeit eines Grundgedankens und seine organi-
sche Gliederung, das Dritte der Inhalt dieses
Grundgedankens oder vielmehr die Quelle, aus
welcher er zu schöpfen ist.

Auch über diese beiden Fundamentalpunkte drückt sich
das Gutachten in bestimmteste Weise aus:

„Was die ästhetisch-praktische Seite der Frage be-
trifft, so machte sich in entschiedenster Weise die Ueberzeugung
geltend, daß ein klares und positives Resultat nicht zu gewinnen
lei, wenn nicht von vorn herein ein Grundgedanke für
*) Siehe den Separalabdruck des „Gutachtens" in der deut-
schen Kunstzeitung (Divsknren) Spalte 2.

die gesammte Ausschmückung aufgestellt würde, und so-
dann, wenn nicht rücksichtlich der Einzelmotive 1. die äußere
Ausschmückung streng von der inneren, 2. die pla-
stische von der malerischen getrennt würde."

Die Quelle nun, woraus jener organische Grundge-
danke zu schöpfen sei, ergiebt sich aus der ganz naturge-
mäßen Frage, um welche Art Bau es sich denn eigent-
lich in diesem Falle handele. Hier sagt das Gutachten:

„Der Grundgedanke für die gesammte Ausschmückung
ist bedingt durch die Thatsache, daß es sich handelt: I. um
einen großen Monumentalbau —, 2. um einen Monu-
mentalbau der Residenz eines mächtigen Staates —
3. um einen Monumentalbau für kommunale Zwecke.

Hiermit ist auf ganz einfache, sachgemäße, jede Will-
kür ausschließende Weise eine ebenso principiell gerecht-
fertigte wie naturgemäße Basis für alles Weitere gegeben,
dergestalt, daß die praktischen Folgerungen, d. h. der po-
sitive Inhalt des Grundgedankens sowohl wie seine orga-
nische Gliederung, gemäß der lokalen Disposition der ein-
zelnen Räumlichkeiten, sich gewisiermaaßeu von selbst mit
logischer Nothwendigkeit ergiebt.

„Wenn nun" — fährt daher das Gutachten fort — „die
künstlerische Ausschmückung, entsprechend dieser dreifachen Be-
stimmung des Baues selbst, ein Spiegelbild der Bedeutung des-
selben, als des Centrums der städtischen Verwaltung und des
bürgerlichen Lebens unsrer Residenz zur Anschauung zu bringen
hat, so ist dabei auf das sociale und kommunal geschicht-
liche Moment zunächst, auf das politische und dynastische
insoweit Rücksicht zu nehmen, als es mit der Entwicklung des
städtischen Lebens in direkter Beziehung steht. — Zugleich
bieten diese verschiedenen Seiten naturgemäß die Möglichkeit, ja
die Nothwendigkeit einer lokalen Gliederung des Grund-
gedankens nach besonderen Cyklen dar."

Bestimmter formulirt das Gutachten diese principielle
Basis dahin:

„Die Ausschmückung des Rathhauses muß in Rück-
sicht aus die künstlerischen Motive das äußere und in-
nere Leben Berlins und seine Bedeutung nach allen
Seiten seiner historischen Entwicklung, sowohl in
kommunaler und socialer wie in politischer und dynastischer
Beziehung, zur Anschauung breiigen."

Uebrigens bemerken wir noch in Rücksicht der wei-
teren Ausführung dieses Gedankens, daß, wenn die
Kommission dabei nicht unerhebliche Schwierigkeiten zu
überwinden hatte, diese theils in der, wahrschein-
lich durch architektonische Rücksichten gebotenen, großen
Ungleichartigkeit sowohl der Lokalitäten unter einander als
auch der für die Ausschmückung dargebotenen Wandflächen
der einzelnen Lokalitäten selbst, theils besonders darin ihren
Grund hatten, daß, da der Bau erst zur Hälfte vollendet
ist, noch nicht die sämmtlichen Lokalitäten ihren Dimensio-
nen und Dispositionen nach zu übersehen waren. Bei-
spielsweise gehören, wie in dem „Nachtrag" zu dem Projekt
Wäsemann's vom 26. März 1864 ausdrücklich bemerkt
wird, zu den für die Ausschmückung designirten „Lokalitäten
des noch unausgeführten Theil des Rathhauses,
welche in dieser Beziehung fernerhin in Erwägung kommen,
der Bibliotheksaal, der Sessionssaal der Stadt-
verodneten und der Festsaal", also drei Räumlich-
keiten von der allerwichtigsten Bedeutung, über deren Dis-
position, Größe und Beleuchtuugsweise u. s. f. thatsächlich
nichts bekannt war, als was etwa aus dem Projekt selbst
gefolgert werden konnte. (Forts, folgt.)

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