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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 17.1905-1906

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Muthesius, Anna: Das Frauenkleid in England
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https://doi.org/10.11588/diglit.7136#0097

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Das Frauenkleid in England.

sonst eine neue Zeit für den Geschmack in Eng-
land herbeiführten. Es wurden damals Zeit-
schriften über Kleider gegründet, Versammlungen
abgehalten, in denen die berühmten drei schönen
Schwestern, die Frauen von Morris, Burne-
Jones und des Akademie-Präsidenten Poynter
(alle drei aus dem Prärafaeliten-Kreise), im Sinne
der Redner gekleidet, grossen Einfluss ausübten.
Walter Crane und Oskar Wilde erschienen
sogar selbst in malerischer Kleidung und predigten
den Männern, es ihnen nachzutun. Jene Zeit
war durchweht vom Geiste der Früh-Renaissance;
die schlanke Frau mit wallendem weichen matt-
farbigem Gewand, eine Lilie tragend, erschien
als das Idealbild. Da diesem sich die Eigenart
der englischen Frau in der vorteilhaftesten Weise
einfügte, so war es kein Wunder, dass man sich
für die neue Kleidung begeisterte und dass sie
sich bis heute nicht nur im Kreise der Ästheten
sondern auch bei den Frauen der fashionablen
Welt erhalten hat. Die Kleidung der Frau ist
in England seit der Zeit ein ganz freies persön-
liches Gebiet geworden. Aber man hat der
Kleiderfrage in England auch von jeher eine viel
grössere Bedeutung geschenkt als bei uns.

Für jede Tageszeit ist ein bestimmter Anzug
vorgeschrieben. Man kommt nicht auf den Ge-
danken, dass man ein Kleid erst dann verwend-
bar findet, wenn man es vom Morgenkaffee bis
zum Theaterschluss tragen kann und nur dann
wechselt, wenn es einmal verregnet ist. Man
hat praktische Gewänder für Strasse und Sport,
würde sich aber nie in diesem poesielosen Toilor
made Dress in einem seidenen Drawingroom-
Sessel ausruhen wollen und den schmutzigen ge-
stiefelten Fuss am Kaminfeuer erwärmen. Man
schlüpft in zierliche Schuhe und hüllt sich in
einen duftigen »Teagown«, der mit der Umgebung
des Zimmers in Einklang steht und feiert so die
als höchst wichtig betrachtete 5 Uhr-Teestunde.
Noch mehr aber sucht man die Diner-Stimmung
am Abend durch Anlegung eines festlichen Ge-
wandes zu erhöhen, wenn man auch nur dem
befrackten Gatten beim kalten Hammelbraten
allein gegenübersitzt.

Die englische Frau misst dem Kleide in erster
Linie eine schmückende Bedeutung bei. Es war
also stets reicher Bedarf an Material und bei
dem angebornen Geschmack der Engländerin
auch an künstlerischem Material. Daraus wird
es erklärlich, dass ein Geschäft wie Liberty in
London seine Existenz auf eine rein künstlerische
Basis gründen konnte. Liberty hatte gleich zu
Beginn der erwähnten Kleiderbewegung die rich-
tige Erkenntnis, dass es vor allem gelte, gutes,
künstlerisch brauchbares Material zu schaffen.
Er richtete Webereien für Sammete, Seiden, Tuche
und Leinen ein, und was noch wichtiger war,

Färbereien, aus denen die eigenartigen Stoffe in
prachtvollen Farbentönen hervorgingen. Einen
grossen Einfluss übten auf diese Farben die
japanischen Farbenholzschnitte aus. Bis heute
hat in Stoffen und Farben kein anderes euro-
päisches Land Liberty überflügeln können. 'Auch
wir in Deutschland haben uns künstlerisch nur
von dem anregen lassen, was uns Wertheim
davon herüberschicken lässt. Das ist um so mehr
Schade, als sich gerade deutsche Künstler im
Frauenkleid hervorragende Verdienste erworben
haben. Wie wenig diese Kleider ohne eigen-
artige Stoffe und Farben denkbar sind, hat uns
die Tatsache bewiesen, dass auf unsern Frauen-
kleider-Ausstellungen mindestens zwei Drittel der
Kleider aus Libertymaterial gefertigt war.

Das Liberty-Haus ist damals auch dazu über-
gegangen, Kleider anzufertigen.

Auch hierin weicht es nicht von seinen künst-
lerischen Grundsätzen ab. Statt wie es andere
Geschäfte tun, dem Publikum nachzulaufen, hält
es sich von der Mode frei und lehnt sich in
seinen Schöpfungen lieber an besonders reizvolle
historische Kostüme an. Das eben erschienene
Album, von denen die Abbildungen auf Seite 86
bis 90 einige Beispiele wiedergeben, enthält eine
grössere Auswahl solcher Phantasie-Kostüme. Vom
Standpunkte der jetzigen deutschen Kleider-
bewegung aus wird man freilich in solchen An-
lehnungen noch nicht das Ziel aller Wünsche
erblicken. Gerade im Kleid hat Deutschland
mehr geleistet, als hier geboten wird. Das gibt
auch Niemand bereitwilliger zu als Liberty selbst.
Ich freute mich dabei zu sein, als vor 2 Jahren
dem leitenden Libertymanager ein Kleid von
Mohrbutter*), gefertigt von Frau Wincker, vor-
gelegt wurde, eins der schönsten mit Lapislazuli
besetzt. Als die Hülle sank, schwieg er eine
Weile und sagte dann nur: »Ja, Sie sind uns
über in Deutschland.« Und das ist gewiss viel
von einem englischen Managing Director. Von
jener Zeit an hat die Firma Liberty zum ersten
Male deutsche Modelle angekauft — ob sie es
zugibt, dass sie »made in Germany« sind, möchte
ich allerdings bezweifeln.

*) Es sei hier empfehlend auf Alfred Mohrbutters
bedeutsames Kostüm werk DasKleid der Frau« verwiesen
(Verlags-Anstalt Alexander Koch—Darmstadt, in künst-
lerischer Ausstattung Mk. 12,—), das mit seinem wertvollen,
über die Mode-Schwankungen hinausragenden Inhalt ein
dauernder Ratgeber für jeden ist, der sich mit Entwurf und
Anfertigung wirklich gediegener, persönlichem Geschmack
Rechnung tragender künstlerischer Frauenkleider befasst.
Das Werk enthält ausser den Entwürfen von Mohrbutter
selbst Beiträge ausgeführter Kleider nach Entwürfen von Peter
Behrens, H. van de Velde, Else Oppler, Anna Muthesius,
Emmy Friling, Else von Hahn u. v. a. Das Werk ist
dadurch ganz besonders erfolgreich benutzbar, dass es auch
farbig wiedergegebene Kostüme und 32 farbige Stoffzusammen-
stellungen enthält, mit deren Hilfe man schon über die schwie-
rigsten Fragen in Stoff- und Farbenwahl hinwegkommt.

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