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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 17.1905-1906

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Schur, Ernst: Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7136#0238

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ERICH ERLER-SAMADKN.

Die blaue Pforte

ENTWICKLUNG

Dem vorurteilslosen Blick erscheint unsere
Zeit als eine Zeit der vielfältigsten
Möglichkeiten. Wenn wir in schwachen
Stunden an ihr zu verzweifeln beginnen
und sehnsüchtig, unter all diesem unruhigen
Hin und Her, nach einer endgültigen Vollen-
dung ausschauen, so vergessen wir nur zu
leicht, dass es unsere Unfähigkeit ist, die
uns schwach macht, dass wir das Grosse
hinter all dem Einzelnen nicht sehen. Wir
legen unser kleines Ich dem Streben der
Gesamtheit unter. Die Vorwürfe, die wir
gegen das Ganze zu richten wähnen,
sind nur Schreie, die unsere eigene Ohn-
macht, dem gewaltigen Strom, der immer
über uns hinwegbrausen will, standzuhalten,
dokumentieren. Wir fühlen eine Zer-
splitterung , wo eine Macht gegen uns an-
stürmt und wir meinen, diese Zersplitterung
läge ausser uns. Sie liegt in uns. Wer alt

wird, wer zur Ruhe strebt und dann anfängt,
seine Zeit der Ruhelosigkeit des haltlosen,
zielunsicheren Hin und Her, dem keine ver-
nünftige Idee mehr zu Grunde läge, zeiht,
der wird bald hinweggeschwemmt. Vor-
würfe und Grollen werden bald überhört.
Über den Einzelnen hinweg fliesst und
schäumt der Strom der Zeit.

Es ist eine der erhebendsten Empfindungen,
mit der wir unserer Zeit gegenübertreten
können: das Gefühl dieses instinktiven
Drängens nach einem ungekannten Ziel.
Schön und erhaben ist die Beobachtung, die
uns die Entwicklung lehrt, der wir uns beugen:
dass der Einzelne vor diesem Thron nicht
viel mehr gilt als nichts. Macht er sich dienst-
bar dieser Macht, er wird anfgenommen in
die Gemeinschaft derer, die diesem Ziel nach-
streben. Weigert er die Heerfolge, so über-
sieht man ihn bald. Und ehe eines Tages

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