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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 17.1905-1906

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Rosenhagen, Hans: Ferdinand Holder - Genf
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https://doi.org/10.11588/diglit.7136#0286

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FERDINAND HODLER-GENF

VON HANS ROSENHAGEN.

Die Psychologen behaupten, dass der
menschlichen Seele ein lebhaftes Be-
dürfnis nach immer neuen Anregungen inne-
wohne, und dass daher alles Neue und Un-
gewohnte einen mächtigen Reiz auf sie aus-
übe. Wenn man jedoch einmal das Publikum
beobachtet, wie es sich in einer Kunst-Aus-
stellung gegenüber neuen Erscheinungen
verhält, ist man sehr geneigt, jener Be-
hauptung aufs Lebhafteste zu widersprechen.
Statt sich durch eine neue künstlerische
Idee, einen neuen künstlerischen Ausdruck
angeregt und gehoben zu fühlen, haben
die meisten Ausstellungs - Besucher nichts
Nötigeres zu tun als ihre Entrüstung über den
ungewohnten Anblick zu äussern und den
armen Künstler, der sich originell zu sein
erlaubte, in Grund und Boden zu verdammen.
Aber die Psychologen haben dennoch Recht.
Das Entsetzen des Publikums über gewisse
Künstler und Werke in den Ausstellungen
ist nicht eine Folge des Neuen, das ihm ge-
boten wird, sondern nur ein Zeichen seiner
Unfähigkeit, Künstlergedanken mitzudenken
und das in Taten umgesetzte Ergebnis nach-
zuprüfen. Das Publikum begreift gar nicht,
dass ihm etwas Neues gezeigt wird, sondern
meint, der Künstler wolle es nur provozieren,
indem er den allgemeinen Vorstellungen von
Kunst und von Schönheit mit Nichtachtung
begegnet. Ausserdem spricht hier noch die
Gewohnheit mit, alles vom Nützlichkeits-
Standpunkt aus zu beurteilen. Man findet
es unbegreiflich, dass Jemand gegen sein
Interesse arbeitet, was der Künstler doch
offenbar tut, wenn er dem Publikum
Leistungen darbietet, die diesem unmöglich
gefallen können. Der Wunsch des Künst-
lers, die Erscheinungswelt aus sich heraus
neu zu gestalten, seine und nicht Jeder-
manns Vorstellung davon zu geben, ist für
die grosse Menge völlig unverständlich.
i»oc. v. 1.

Das Neue an sich wird vom Publikum
immer gut aufgenommen, sobald es in Be-
ziehung zu irgend einem Nutzen gebracht
werden kann. Daher vollzieht sich in der
Mode der krasseste Wechsel ohne erheb-
lichen Widerspruch; darum wehrt sich Nie-
mand gegen die Umwälzungen, die irgend-
welche Erfindungen im öffentlichen Leben
hervorrufen.

Weil sich nun niemals beweisen lässt,
ob diese oder jene Art des künstlerischen
Ausdrucks besser — im Sinne des Publi-
kums also nützlicher — ist, kommt es schliess-
lich nur darauf an, das Publikum an das
Neue in der Kunst zu gewöhnen. Das ge-
lingt freilich niemals, wenn dem Künstler
die gesunde und reine Empfindung und der
sinngemäße Ausdruck dafür gefehlt hat;
denn hier greifen glücklicher Weise dunkle,
aber zuverlässig wirkende, jedem natürlichen
Menschen verliehene Instinkte hindernd ein,
und gelingt sehr schwer, wenn die Be-
ziehungen des Neuen zu den bekannten
Äusserungen der Kunst nicht offen da-
liegen. Die Gewöhnung ist die eigentliche
Grundlage des Kunstgeschmacks. Sobald
sie eingetreten, ist das Publikum auch mehr
oder minder in der Lage, zu erfassen, worauf
es bei solchen neuen Kunstäusserungen an-
kommt, was daran zu bewundern ist.

Ein Künstler, der für die Allgemeinheit
noch ausserhalb des von den widerspruch-
vollsten Erscheinungen erfüllten Kreises der
Gewöhnung steht, ist der Schweizer Maler
Ferdinand Hodler. Seine Bilder sind in den
letzten Jahren vielfach in deutschen Aus-
stellungen gezeigt worden und haben bei
diesen Gelegenheiten eine sehr verschieden-
artige Beurteilung erfahren, wobei quanti-
tativ allerdings die Ablehnung überwog.
Darüber brauchte man sich nicht besonders
zu wundern, denn Hodlers Kunst befindet

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