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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 17.1905-1906

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Habich, Georg: Georg Wrba. München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7136#0359

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GEORG WRBA.

Bacchantenzug'

GEORG WRBA-MÜNCHEN.

VON DK- GEORG HABICH.

Wer gewohnt ist, auf Kunstreisen
mehr seinem eigenen Stern als
denen Bädekers zu vertrauen, wird nicht
leicht an dem mauerumgürteten Nördlingen,
der Stadt Schäuffelins, vorbeifahren, und
wäre es nur, der schönen, leider aber durch
banale Restaurierung stark verdorbenen
Hauptkirche einen Besuch zu machen. Sie
bildet das Gehäuse für eines der eindrucks-
vollsten Werke alter deutscher Bildhauer-
kunst, den ergreifenden Kruzifixus am Haupt-
altar. Verlässt man die weit und kühn ge-
spannte gotische Halle, und Keiner, der
Augen hat zu sehen, wird das tun, ohne
im Innersten getroffen zu sein von der stillen
Grösse des Leidens in jenem Dulderangesicht,
so wird man überrascht durch den Anblick
eines anderen Kunstwerks, das man hier
nicht erwartet. Auf dem stillen Platz, gegen-
über der hohen, von Streberpfeilern unter-
brochenen Kirchenwand erhebt sich da zu
bedeutender Höhe ein Brunnenmonument,
so einfach, ruhig und der ehrwürdigen Nach-
barschaft angemessen, dass man nicht zweifelt,
es rage gleichfalls aus altersgrauer Vergangen-
heit in die Gegenwart. Nur das Eine nimmt
den Freund der alten Kunst wunder, dass er
dies prächtige Stück Architektur nicht längst
aus hundert Abbildungen, aus Kunstbüchern,
Kunstkalendern und — Ansichtspostkarten
kennt. Ein gedrängter runder Unterbau mit
ganz einfach profilierter Schale, fast an ein

1»06. VI. 8.

altes romanisches Taufbecken gemahnend,
trägt einen konisch sich verjüngenden Auf-
bau, der sich in eigenartiger Weise aus
einem zweiten Steinbecken und einem Stab-
werk von Bronze zusammensetzt und in
Form eines hohen, spitzen, durchbrochen ge-
arbeiteten Bronze-Helms endigt. Gotische
und romanische Motive klingen in dem
sparsam verteilten Skulpturen - Schmuck an,
und auch der Aufriss des Ganzen erinnert
an ein altes Monument, den Braunschweiger
Marktbrunnen, aber dennoch: eine merk-
würdige Eigenart, ein persönliches Etwas
spricht aus diesem Aufbau, das wieder ganz
modern ist. Hier hat kein »Neugotiker« von
der Sorte, die nun seit bald hundert Jahren
in deutschen Landen jeden alten Kirchenbau
und Marktbrunnen »stilgemäß wieder her-
stellt« oder »stilvoll ersetzt«, sich verewigt,
sondern ein Künstler, der nicht nach dem
Muster der Alten, sondern in ihrem Geiste
schafft, hat dem ehrfurchtgebietenden Genius
des Ortes gehuldigt. Nicht in unfreier Imi-
tation, sondern in einem gefühlsmäßigen Nach-
schaffen, das keine akademische Stillehre
hemmte, ist das Nördlinger Denkmal ent-
standen, und die stille Liebe zu den Werken
jener hohen Alten, die vornehmlich daraus
spricht, ist so verschieden von der anmaß-
lichen und selbstgefälligen Art der früheren
romantischen und der jetzigen akademischen
Stilpuristen, so entgegengesetzt verschieden
 
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