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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 17.1905-1906

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Michel, W.: Das nationale Element in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7136#0170

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betonen. Meine Begründung darf kurz sein.
Das nationale Element ist in einem Künstler ent-
weder vorhanden oder es ist nicht vorhanden.
Wo es vorhanden ist, wird es sich durchringen,
ob der Betreffende will oder nicht. Wo es
nicht vorhanden ist, hat nach dem alten Sprich-
wort selbst der Kaiser das Recht verloren.
Wohl aber kann in diesem Falle üble Affek-
tation hervorgerufen werden. Gar nicht davon
zu reden, dass die Betonung des nationalen
Momentes auch alle Arten von Trägheit und
Rückständigkeit zu begünstigen geeignet ist.

Nationale Schranken sind im Reiche der
Kunst ohne Zweifel vorhanden. Aber in den
Streit des Tages sollte sie nicht hineingezogen
werden. Die nationalen Unterschiede ergeben
sich als Tatsachen dem, der mit der Ruhe des
Forschers das Kunstbemühen der Völker über-
blickt. Aber als Waffen zu Schutz und Trutz
sollten diese Tatsachen nicht benutzt werden.
Es lebe ein Jeder, in dem sich der uralt-heilige
Trieb der Gestaltung regt, tüchtig und redlich
vor sich hin, ohne sich allzu spitz und bewusst
auf seine Eigenschaft als Deutscher, Engländer
oder Franzose zu besinnen. Er nehme die Zeit
und ihre Anregungen in sich auf und bemühe
sich, auf ehrliche Weise mit seinen Meistern
fertig zu werden. Andere mögen seine Schöp-
fungen bewerten und in Gottes Namen dabei
auch den Unterschied der Nationalitäten berück-
sichtigen. Der Künstler selbst ist in jedem
Augenblicke des Schaffens weder Deutscher
noch sonst ein »Landsmann«, sondern in erster
Linie Mensch und hat nur mit seinen allgemein
menschlichen Schranken dem Pan, dem Chaos,
dem Gotte gegenüber zu rechnen, w. michel.
 
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