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Twachtmann-Schlichter, Anke [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 14,1): Stadt Hildesheim: mit den Stadtteilen Achtum, Bavenstedt, Drispenstedt, Einum, Himmelsthür, Itzum, Marienburg, Marienrode, Neuhof, Ochtersum, Sorsum, Steuerwald und Uppen — Hameln, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.44417#0229
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Vorbauten eine stärkere Betonung und struk-
turieren den ansonsten schlicht gestalteten
Baukörper.
Mit dem Neubau der ehemaligen Sültegebäude
Bahnhofsallee 38 und 40 im Jahre 1849 be-
gann ein neuer Abschnitt des vormaligen
Klosters. Bereits zu Beginn des 11. Jh. ist eine
St. Bartholomäuskapelle mit Hospital und
Pilgerhaus im sumpfigen Gebiet nordöstlich der
befestigten Altstadt nachweisbar. Relikt des
mittelalterlichen Klosterkomplexes ist die ver-
bliebene Sültequelle, deren heutige Quellfas-
sung allerdings in die 70er Jahre des 20. Jh.
zurückgeht. Bis zur Säkularisation und der fol-
genden Nutzung als Kaserne war das pros-
perierende Kloster im Laufe der Jahrhunderte
einer wechselvollen Geschichte unterworfen. Im
Stadtgrundriss nimmt die Anlage von jeher eine
Sonderstellung ein. Vor den Toren der Stadt
zwischen Alms- und Ostertor gelegen, ergänzt
sie sozusagen den „Kranz“ der Klosteranlagen,
die sich um die mittelalterliche Stadt legten. Mit
den östlichen Stadterweiterungen verliert die
Sülte zwar ihre bis dahin bestehende Vor-
stadtlage, das Grundstück ist von den Erwei-
terungen allerdings direkt kaum betroffen. Es
liegt seither mehr wie eine Insel in der sie
umgebenden, ständig wachsenden Bebauung
des 19. und 20. Jh. Ein gewaltiger Einschnitt
erfolgte mit der Anlage des Kennedydammes
1964, der den ehemaligen Klostergarten im
Osten durchschnitt. Damit entstand östlich eine
neue städtebauliche Situation.
Die im 19. Jh. neu errichteten Anstaltsgebäude
nehmen die städtebaulich Position der
Klostergebäude im Stadtgrundriss auf. Nach
der Verlegung des Krankenhausbetriebes zum
Galgenberg wurde bereits 1962 per Ratsbe-
schluss der Bau einer Stadthalle beschlossen,
der aber erst 1998-2000 umgesetzt wurde. Mit
dem Bau des Kennedydammes im Jahre 1964
erfolgte ein Teilabriss der Sültegebäude. Von
der gesamten Anlage mit Stall, Wagenremise,
den gesamten hauswirtschaftlichen Gebäuden
nebst einem Gewächshaus sind heute das
Hauptgebäude, die beiden Torhäuser und die
Sültequelle selbst erhalten und von größter his-
torischer und städtebaulicher Bedeutung.
Mit den im Jahre 1849 im klassizistischen Stil
H-förmig errichteten Gebäude wurde erstmals
eine psychiatrische Einrichtung neu geplant und
errichtet. Das brachte ihr bald den Ruf „als
größte und angesehenste Anstalt Deutsch-
lands“ ein. Erfolgte doch bis ins beginnende
19. Jh. die Unterbringung der Kranken zusam-
men mit Strafffälligen in so genannten Zucht-
und Tollhäusern, weitgehend ohne Betreuung.
Mit dieser begann man erst im späten 18. Jh.,
einhergehend mit einer Trennung von psychisch
Kranken und Straffälligen und brachte sie in
leerstehenden Gebäuden unter, nach der
Säkularisation beispielsweise in St. Michaelis.
Erst in der Mitte des 19. Jh. setzte sich die
Errichtung von Neubauten nach den Kriterien
der Funktionalität durch. Der Neubau der
Sülteanstalt ist nicht nur ein sehr frühes Beispiel
einer solchen Anstalt, sondern orientierte sich
bautypologisch an den für die damalige Zeit
neuesten Erkenntnissen von H. Girad. Dieser

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Hildesheim, Bahnhofsalle 40, so genannte Lindemannsche Villa

forderte eine maximale Größe, allgemeine
schlichte Gestaltungsprinzipien der Gebäude
und empfiehlt vier Grundformen, eine davon ist
die hier angewandte H-Form. Dies ermöglichte
vor allem eine getrennte Unterbringung nach
Geschlechtern. Der Querflügel war als Wirt-
schaftstrakt vorgesehen. Die Anlage einer
Kapelle war von besonderer Bedeutung.
Die in ortstypischem Kalktuff zwischen 1844
und 1846 errichtete Anlage spiegelt konkret
diese Anforderungen wider. Obwohl die
Gebäude in der Tradition des Klassizismus ste-
hen, bestechen sie durch die in der Zeit
unübliche Dekorlosigkeit und den Verzicht von
Gliederungs- und Rahmungselementen. Ledig-
lich die um 1870 angebauten Endpavillons,
zum einen genutzt als Knabenschlafraum, zum
anderen als Kapelle, erhalten hat sich lediglich
der nordöstliche, weisen sehr zurückhaltend
gotisierende Stilelemente wie den Treppen-
giebel auf. Unverändert überkommen sind die
beiden um 1850 zu datierenden Torhäuschen
mit ihren kubischen Formen. Da die Westseite
der Anlage mit den beiden Torhäuschen, dem
Innenhof und der historischen Einfriedung ent-
lang der Bahnhofsallee relativ unverändert
blieb, ebenso wie die Parkanlage und die so

genannte Lindemannsche Villa der Südseite,
erfolgten hier bei der Nutzungsänderung 1998-
2000 keine Eingriffe. Die Torhäuschen wurden
in das heutige Konzept mit einbezogen. Der
Neubau der Stadthalle entstand in der
Hofspange zwischen den östlichen Flügeln.
Betrieben wird die Anlage heute durch eine
große Hotelkette.
Das Lindemannsche Haus, Bahnhofsallee 40,
auf dem südlichen Grundstück der Sülte hat
trotz der beträchtlichen Veränderungen in der
nahen Umgebung seine städtebauliche Dispo-
sition beibehalten. Gelegen an dem Knoten-
punkt Bahnhofsstraße, Einumer Straße, Oster-
tor und Kennedydamm und eingebettet in den
südlichen Grünbereich entsteht ein villenähn-
licher Bau. Das klassizistische Gebäude ent-
stand 1855/56 für den Versicherungsagenten
C. Lindemann. Bereits seit 1872 wurde das
Gebäude aber auch zu Wohnzwecken der
Wärter der Heil- und Pflegeanstalt benutzt.
Relativ unverändert präsentiert sich das über
rechteckigem Grundriss zweistöckige Gebäude
mit Mezzaningeschoss. Lediglich die Fenster-
achsen lockern das ansonsten ohne Schmuck
errichtete Gebäude auf, das heute von der
Musikschule genutzt wird.

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