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Twachtmann-Schlichter, Anke [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 14,1): Stadt Hildesheim: mit den Stadtteilen Achtum, Bavenstedt, Drispenstedt, Einum, Himmelsthür, Itzum, Marienburg, Marienrode, Neuhof, Ochtersum, Sorsum, Steuerwald und Uppen — Hameln, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.44417#0164
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Hildesheim, Neues Tor


erneut verstärkt durch einen nicht mehr erhalte-
nen Zwinger im Jahre 1514. Plänen der Stadt-
sanierung zum Trotz konnte der mit einem Ton-
nengewölbe versehene Walldurchgang beste-
hen bleiben und musste nicht einer restriktiven

das auf Misstrauen aufgebaute Verhältnis nicht.
Ausdruck dieser Situation war die neue Befes-
tigungsanlage seitens der Altstädter aus dem
Jahre 1576.

Neustadt bestand das Kempentor im Nord-
westen, im Verlauf des heutigen Friesenstieges.
Im Südwesten ist die Sachlage wesentlich
komplizierter. Bei diesem Zugang war die ver-
kehrspolitische Bedeutung nicht gegeben, wie
bei den anderen Toren. Hier liegt das bis ins
15. Jh. unbefestigte Gebiet des Brühl der
Altstadt, das vorgelagerte Godehardikloster
und der Lappenberg. Es bestand kaum Ver-
anlassung ein repräsentatives Tor zu schaffen.
Angenommen werden allerdings zwei sich
gegenüberliegende Brühltore im Bereich des
Gelben Sternes. Umfangreiche Bautätigkeiten
in diesem Gebiet bis zur Union 1583 erschwe-
ren eine exakte Beschreibung, ebenso wie die
häufig verwandte Bezeichnung Brühltor für
unterschiedliche Tore.
Auf die Frage nach dem Grund für die großzügi-
gen Straßenprofile der Wollenweber- und
Braunschweiger Straße kommen zwei Möglich-
keiten in Betracht: zum einen könnte der
Gedanke an einen repräsentativen Anschluss
an die Altstadt, zum anderen die Chance als
größere Handelsstraße zu fungieren, eine Rolle
gespielt haben. Aus heutiger Sicht kann man
sagen, dass die Braunschweiger Straße diese
Intentionen nahezu erfüllte. Die überlieferte
Bezeichnung „Bredeler“ (Bettlerstraße) für die
Wollenweberstraße zeigt, dass sie zumindest
zeitweise diesen Ansprüchen nicht gerecht
wurde.

Verkehrspolitik der 70er Jahre des 20. Jh. wei-
chen. Heute verbindet der Tunnelgang als
Fußweg den Lappenberg mit dem Weinberg.

DIE NEUSTADT
Die erste Erwähnung der Hildesheimer Neu-
stadt im Süden verweist in das Jahr 1221. Ur-
sprung ist das einstige Dorf Losebeck südlich
der Altstadt, auf dessen Gemarkung die plan-
voll angelegte Siedlung zu Beginn des 13. Jh.
als eigenständige Gründung unter der Stadt-
herrschaft des Dompropstes entstand. In der
Neustadt ist der Dompropst durchaus als
weltlicher Machthaber zu sehen, unumschränk-
ter Herr, ihm obliegt nicht nur die Marktaufsicht.
Darüber hinaus ist er oberste Gerichts- und
Aufsichtsbehörde über Innungen und Gilden
und Eigentümer des Grund und Bodens. Der
Dompropst errichtet sozusagen seine eigene
Stadt, wie den Urkunden zu entnehmen ist.
Strukturell setzte sich die Bevölkerung der
Neustadt vorwiegend aus kleinen Handwerkern
und Kaufleuten, aber auch Ackerbürgern
zusammen. Jedem Ansiedler wurde eine be-
stimmte Parzellenbreite von durchschnittlich
3,75 bis 4,75 m zugewiesen, Erklärung für die
bis auf wenige Ausnahmen sehr regelmäßige
Parzellierung.
Prägend für die Geschicke der Neustadt war
die immerwährende heftige Konkurrenz zur
Altstadt. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des
wirtschaftlichen Aspektes, auch waren die Neu-
städter im Streitfälle den Amtsträgern der Alt-
stadt, wie zum Beispiel im Streit um Braurechte
und Bierhandel (von 1480), häufig unterlegen.
Auch in der Zeit der Reformation änderte sich

Erst der 1583 mit der Altstadt eingegangene
Unionsvertrag beendete die offene Feindschaft.
Indes erwies sich nach diesem Zusammen-
schluss, dass in wirtschaftlicher Hinsicht von
einer Gleichberechtigung nicht gesprochen
werden konnte. Allerdings beseitigte man das
zwischen den Fronten bestehende Festungs-
werk. Eine Folge dieser Zusammenführung ist
die „Neue Straße“, die erst 1585 entstand und
so die Stadtteile verband.
Planvoll und in ihrer Anlage regelmäßig gestaltet
präsentiert sich die Hildesheimer Neustadt bis
heute und ist typisch für die Neugründungen
jener Zeit. Parallele Straßen verlaufen gradlinig
zur Peripherie. In ihrer Mitte liegen der recht-
winklige Markt- und Kirchplatz, die durch das
Rathaus getrennt werden. Der erste Rathaus-
bau wurde bereits 1268 errichtet. Trotz der
Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges bleibt
dieser klare Stadtgrundriss auch heute deutlich
nachvollziehbar. Lediglich der Zuschnitt der
Parzellen hat sich im Zuge des Wiederaufbaues
durch Zusammenlegung verändert. Um den
regelmäßig ausgeführten rechteckigen Stadt-
grundriss wurde ein entsprechender Befesti-
gungsring mit Toren an den Ecken gelegt.
Exakte Ergebnisse hinsichtlich der Datierung
und des genauen Aussehens zu dieser frühen
Befestigung sind nicht gegeben. Es kann aber
von einer Ringmauer mit Graben ausgegangen
werden, die klassischen Merkmale einer Stadt.
Im späten 13. Jh. ist dann von einer Stadt-
mauer auszugehen. Urkunden berichten über
die Existenz einer solchen und weiterhin von
vier Stadttoren. Im Nordosten bildet das Braun-
schweiger Tor den Abschluss der gleichnami-
gen Straße, im Südosten das Goslarer Tor,
auch Goschentor genannt, am Endpunkt der
Goslarschen Straße. Bis zur Union von Alt- und

Am Kehrwieder
Wahrscheinlich ist, dass sich um 1300 ein
Stadtausgang am Orte des späteren Kehrwie-
derturmes befunden hat. Seinen heutigen Na-
men erhielt der Torturm erst im 16. Jh. Mit der
Einbeziehung des Godehardiklosters in die
Stadtumwallung im 14. Jh. wurde ein weiteres
Tor, wahrscheinlich im Bereich des Gelben
Stern notwendig.
Die Bedeutung des südwestlich gelegenen
Neuen Tores war im 17. Jh. bereits nicht mehr
gegeben und wurde vermauert. Im Sieben-
jährigen Krieg (1756-1763) besetzten die Preu-
ßen die Stadt; der Wall zwischen Lappenberg
und Goschentor wie auch die Stadtmauer wur-
den zum Teil zerstört. Reste der Mauer sind in
der Neustadt im Bereich der Keßlerstrasse nur
noch am rückwärtigen Bereich der Dom-
propstei und des Kehrwiederturmes zu finden.
Bemerkenswert ist der Kehrwiederturm nicht
wegen seiner besonderen architektonischen
Gestalt, sondern weil es sich um das einzig
erhaltene Beispiel eines solchen Turmes in
Hildesheim handelt. Eine Einordnung auf Grund
stilistischer Baumerkmale ist zudem relativ
schwierig, da man diesen Typus über Jahr-
hunderte vorfindet. Möglicherweise ergibt sich
aber ein anderer Hinweis zur Datierung. Das
dem Godehardikloster vorgelagerte „Neue Tor“
entstand 1461. Der Turm wird also vorher
errichtet worden sein. Der Beginn der Arbeiten
um das Godehardikloster wird in das frühe 14.
Jh. datiert. Eine ähnliche Entstehungszeit für
den Kehrwiederturm mit dem angrenzenden
Mauerrest ist wahrscheinlich. Bauhistorische
Untersuchungen unterstützen die These, dass

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